Polizeiruf "Schuld": Da, wo’s weh tut

Aus der „Polizeiruf“-Folge „Schuld“ macht Regisseur Hans Steinbichler einen beklemmenden Heimatfilm – und in Matthias Brandt hat er einen Kommissar, der virtuos in offenen Wunden wühlt.
von  Pierre Jarawan/Jens Szameit

Die Grenzen sind nicht immer eindeutig. Was ist gut, und was ist böse? Der neue „Polizeiruf 110“ trug den Titel „Schuld“ und beschäftigt sich mit genau dieser Frage. Vor vielen Jahren hat ein Mord ein oberbayerisches Dorf erschüttert. Xaver Edlinger (Daniel Christensen) wurde damals angeklagt und wieder freigesprochen. Er bleibt frei, obwohl ein neues Analyseverfahren seine Schuld beweist.

Kommissar Hans von Meuffels (Matthias Brandt) und seine Kollegin Anna Burnhauser (Anna Maria Sturm) sehen sich plötzlich in der heiklen Situation, einen Möder vor der Selbstjustiz der Dorfgemeinschaft schützen zu müssen. Und so entwickelt sich dieses Kriminalstück um einen zwölf Jahre alten Mord mehr und mehr zur Sozialtragödie.

Auf dem Land weiß jeder alles – und was er nicht wissen will

Es ist übrigens Kollegin Burnhauser, die den Kommissar in diese prekäre Lage gebracht hat. Edlinger war im Begriff, ihre schwangere Schwester zu ehelichen. Die Kriminalbeamtin, die über den ungesühnten Mord an einem Dorfstenz moralisch nie hinweggekommen ist, lässt eigenmächtig die Tatwaffe, eine leere Bierflasche, aus der Asservatenkammer holen und kriminaltechnisch neu untersuchen. Mit den aktuellen DNA-Erkenntnissen, die Edlinger als Täter überführen, platzt sie in ihr Heimatdorf, das gerade dabei war, Gras über die alte Sache wachsen zu lassen. Was sie nicht bedacht hat: Niemand kann zweimal in derselben Sache vor Gericht angeklagt werden.

Mit dem Chris-Kraus-Diktum „Heimat ist da, wo es weh tut“ hat Regisseur Hans Steinbichler seine Haltung als Filmemacher exakt auf den Punkt gebracht. Und mit dem wandelnden Fremdkörper Meuffels hat er nun die richtige Figur bei der Hand, um nach Kräften in offenen Wunden zu wühlen. Der Kommissar will den Fall nicht aufklären, er ist vielmehr daran interessiert, dass es „ein bisschen hochkocht“ und die Dörfler die Sache selbst lösen.

Steinbichler, aufgewachsen im Chiemgau, drehte die Schlüsselszenen übrigens im Haus seiner Tante. Herausgekommen ist eine große Beklemmung, eine schmerzliche Enge, die suggeriert: Auf dem Land weiß jeder alles über jeden, und alle wissen sehr genau, was sie lieber nicht wissen wollen. Das erste Mordopfer ist da die Wahrheit. Das zweite: der Krimi. Selten war es aufschlussreicher, ihm beim Sterben zuzuschauen.

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