„Politisches Kampfblatt mitten unter Nutten“

Die Inhalte des Hefts treffen besondere Geschmäcker, der Titel der aktuellen Ausgabe kündigt Geständnisse von Frauen mit „perversen Neigungen“ an. Vor 40 Jahren erschien erstmals die „St. Pauli Nachrichten“ , bei der Gründung waren Aust und Broder dabei.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Die Inhalte des Hefts treffen besondere Geschmäcker, der Titel der aktuellen Ausgabe kündigt Geständnisse von Frauen mit „perversen Neigungen“ an. Vor 40 Jahren erschien erstmals die „St. Pauli Nachrichten“ , bei der Gründung waren Aust und Broder dabei.

Jürgen Klebe, der Chefredakteur der „St. Pauli Nachrichten“ weiß, was seine Leser wünschen: „Große Busen kommen immer gut.“ Auch die Inhalte des Hefts treffen besondere Geschmäcker, der Titel der aktuellen Ausgabe kündigt Geständnisse von Frauen mit „perversen Neigungen“ an. Die „St. Pauli Nachrichten“ feiern ihr 40-jähriges Erscheinen, ihren Ursprung hatte die Sexpostille im anarchischen Selbstverständnis der einstigen Protestbewegung. Als im April 1968 „Spiegel“-Fotograf Günter Zint die erste Ausgabe der „St. Pauli Nachrichten“ veröffentlichte, war der Anspruch ein anderer:

„Ich hatte mich – wie heute auch noch – fürchterlich über die ,Bild’ geärgert“, erinnert sich der 66-Jährige. Also habe er das Boulevard-Blatt parodiert. Meist sei von den fabulierten Schlagzeilen diejenige genommen worden, über die in der Redaktionsrunde zuvor gut gelacht wurde, etwa: „Angst und Schrecken über Venlo – Wollte Franz J. Strauß Lufthansa-Jet kapern?“

"Seid nett aufeinander"

Bald fingen die Leser wegen der Nähe zum Hamburger Kiez an, Kontaktanzeigen zu schicken, die später unter der Rubrik „Seid nett aufeinander“ liefen. Nach eineinhalb Jahren hatte das Wochenblatt eine Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren erreicht.

Zint lebte zu jener Zeit in einer Kommune des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, dabei war auch der spätere Enthüllungsjournalist Günter Wallraff. Die Sympathie für die linke Szene, nackte Frauen und die Kontaktanzeigen hatte Hausdurchsuchungen und Indizierungsversuche durch Behörden zur Folge. Also veröffentlichten Zint und sein Kompagnon Helmut Rosenberg ihr Blatt ab 1970 als Tageszeitung, die nicht indiziert werden konnte. Zu dieser Zeit schlossen sich auch der spätere „Spiegel“-Chef Stefan Aust und der heutige „Spiegel“-Autor und Schriftsteller Henryk M. Broder der Redaktion an.

Ein Blatt für testosterongesteuerte Jungs

„Der Reiz war, ein politisches Kampfblatt mitten unter Nutten zu machen“, sagt Broder heute. Mit Artikeln über den Vietnam-Krieg, die Bundesregierung und linksradikale Thesen hätten sie sich ausgetobt. „Das Blatt war historisch irrelevant, aber das richtige für ein paar testosterongesteuerte Jungs, die Mädchen beeindrucken wollten.“

Die Kosten der täglichen Auflage von 15 000 Stück erforderten externe Geldgeber, „der Anfang vom Ende“, sagt Zint. Die Gier nach steigenden Umsätzen habe die Sozialkritik durch immer mehr „Nackedeis“ ersetzt. Aus Frust stieg Zint aus, Rosenberg blieb bis Mitte der 70er Jahre dabei.

Aus der Konkursmasse kaufte ein Verleger das Blatt, vor 22 Jahren wurde Jürgen Klebe Chefredakteur der Zeitschrift, die heute mit acht Mitarbeitern als „Lustblatt Nr. 1“ in einer monatlichen Auflage von 70000 Stück erscheint.

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.