Pinocchio in Rothenburg
Kalifornische Romantik: Die Hypo-Kunsthalle gräbt nach Walt Disneys Wurzeln in der europäischen Kunst.
Warum wohnt Pinocchio, der italienische Kinderheld, in Walt Disneys gleichnamigem Zeichentrickfilm von 1940 in einer Stadt, die etwa so aussieht wie das fränkische Rothenburg? Wie kommt es, dass die Burg in „Schweewittchen“, Disneys erstem abendfüllenden Animationsfilm (1937), an Neuschwanstein erinnert? Weil der Inbegriff US-amerikanischer Unterhaltungskultur in der Ästhetik geprägt ist von der europäischen Kunst; vor allem der Spätgotik, der Romantik sowie von Jugendstil und Symbolismus – und von Ludwigs II. Mittelalter-Themenpark sowieso.
Eine animierte Ausstellung
Die Hypo-Kunsthalle präsentiert jetzt eine höchst animierte Ausstellung, die nach Walt Disneys Wurzeln gräbt – und in erstaunlicher Fülle in der Malerei und Druckgraphik Deutschlands, Englands und Frankreichs fündig wird. Nicht nur die handwerkliche Qualität und künstlerische Vielfalt der Exponate überwältigt, sondern auch die augenfällige, aber nicht penetrant an Disney orientierte Ausstellungsgestaltung macht den Besuch zum Vergnügen.
Als Walt Disney 1935 einen Preis des Völkerbundes in Europa entgegennahm, hatte er auf der Heimreise etwa 350 illustrierte Bücher im Gepäck, darunter Grimms Märchen, Lafontaine-Fabeln, ein „Münchener Bilderbogen“ Moritz von Schwinds mit dem „Gestiefelten Kater“ sowie Tierzeichnungen des Münchners Heinrich Kley. Wie der Karikaturist Daumier, war jener Meister darin, Tiere zu vermenschlichen – das erzählerische Grundprinzip in den „Fabeln“ von Micky Maus und Donald Duck. Für die Verlebendigung der Natur wie in „Schneewittchen“ bot der Symbolismus Anregungen. Trotzdem ist nicht jede Gegenüberstellung wörtlich zu nehmen. Manchmal, wie zwischen Schwinds „Aschenputtel“ und Disneys „Cinderella“, ergeben sich nur allgemeine Übereinstimmungen, und auch die Ähnlichkeit der bösen Königin in „Schneewittchen“ mit der Naumburger ist arg schematisch.
Aus der Zusammenarbeit mit Dalí wurde nichts
Seit den 30er Jahren arbeiteten darüber hinaus einige ausgewanderte Europäer in Disneys Studio als Zeichner, darunter der Ungar Ferdinand Horvath, der Schweizer Albert Hurter und der Schwede Gustav Tenggren – die beiden letztgenannten verlegten auch Collodis „Pinocchio“ nach Mittelfranken. Der New Yorker Eyvind Earle war es wiederum, der sich für die „Dornröschen“-Szenenbilder (1959) von den frühen Niederländern inspirieren ließ. Und die Schau macht auch deutlich, dass Walt Disney, was die Effekte betraf, insbesondere das dramatische Licht- und Schattenspiel, deutsche Stummfilm–Klassiker wie „Faust“, „Der Golem“ und „Nosferatu“ studiert hatte.
Eines der ambitioniertesten Projekte war der Musik-Episodenfilm „Fantasia“ (1940), für den unter anderem Beethovens „Pastorale“ und Mussorgskys „Auf dem kahlen Berge“ expressiv bebildert wurde – und Th. Th. Heines Teufel tanzt durch Dürers Apokalypse. Es war allerdings nicht gerade Disneys publikumswirksamster Film.
Und noch eine Überraschung hat die Schau zu bieten: Ende 40er Jahre wollte Walt Disney unbedingt mit Salvador Dalí zusammenarbeiten. Über einige Vorstudien kam das surrealistische Filmprojekt „Destino“ aber nicht hinaus, es wurde erst 2003 posthum realisiert. Fünfzig Jahre früher wäre „Destino“ ein Knaller gewesen.
Roberta De Righi
Bis 25. Januar, täglich 10 bis 20 Uhr, Katalog 25 Euro