Pin-ups und Gewalt
Das weite Feld der Pop Art bietet genügend Platz: Im Museum Villa Stuck stehen sich mit Mel Ramos und Uwe Lausen zwei völlig konträre Künstler gegenüber
Da prallen Welten aufeinander. In der einen lassen blonde Pin-up-Girls ihre üppigen Brüste aus der Lucky Strike-Packung knallen, räkeln sich glattärschige Bräute an Cola-Flaschen empor. In der anderen greinen uns schmerzverzerrte Fratzen entgegen, taumeln Maschinengewehre zwischen explodierenden Körpern. Hier Mel Ramos, die kalifornische Leichtigkeit plakativen Seins, dort Uwe Lausen, der genialische Selbstzerstörer aus dem protestantischen Stuttgart.
In der Villa Stuck starten heute zwei Ausstellungen, die unterschiedlicher kaum sein können. Und sich doch in zwei Punkten berühren: Beide Künstler sind Akteure im weiten Feld der Pop Art, infiziert von den schrillbunten Sixties. Und sie bedienen sich unbekümmert im Fundus ihrer Kollegen, jeder auf seine Art.
Lausen verkörpert in diesem Reigen die düstere Seite. Sein Schaffen währt nicht einmal zehn Jahre. 1970, mit nur 29 nimmt sich der depressive, drogenabhängige Einzelgänger das Leben. Dieser Suizid scheint das Ziel, auf das alles hinsteuert im Dauer-Happening aus Kunst, LSD und Sex.
Der Aufsauger
Mit 19 flieht die Intellektualbestie, wie ihn sein Schulfreund, der Linksaktivist Frank Böckelmann, nennt, das bürgerliche Elternhaus. Sein Vater ist der SPD-Politiker Willi Lausen. Und nach schriftstellerischen Versuchen kommt er 1961 in München in Kontakt mit der Gruppe SPUR. Er saugt alles auf, was ihm in den Weg kommt, gleitet vom Informel bald schon ins Figurative, frönt einem kruden Realismus im Stil eines Francis Bacon, den er mit intensiver, von Hundertwasser inspirierter Ornamentik kombiniert.
Das Verdrängen der Nachkriegszeit treibt ihn um. Schlagende, schießende, despotische Männer treffen in den Arbeiten nach 1965 auf wehrlose Frauen, blutend auf ihr Geschlecht reduziert. Eine unheimliche Gewalt lauert in diesen Bildern. Lausen muss seine Wahnvorstellungen mit dem Pinsel bannen: „Beim Malen verwandelt sich meine Depression in Aggression“, sagt er. Mit der Fotografin Heide Stolz, Mutter seiner beiden Kinder, inszeniert er rastlos Fotoserien. Sie setzt sein Werk in Szene – zum Teil mit ihm als Modell. Und er malt nach ihren Fotos. Dazwischen tauchen Collagen mit Versatzstücken im Stil Gerhard Richters auf, Sigmar Polke ist nicht weit. Immer wieder landet vermeintlich Harmloses in diesen Bildern, lungert das Popduo Sonny und Cher auf einem orangen Sofa, onaniert Beatle Ringo frei nach Baselitz’ „Großer Nacht im Eimer“. Aber der gemütliche Wohnzimmersessel ist genauso Ort des Grauens – mit Hakenkreuz im Teppichmuster.
Die Mädels werden konstruierter
Daneben, in den Stuck-Räumen, wird der nur sechs Jahre ältere Mel Ramos erst recht zum Sonnyboy. Die Comic-Helden, die er in den frühen Sechzigern mit pastosen Strichen auf die Leinwand setzt, tauscht er bald, 1965, gegen sein Lebensleitmotiv: die „Commercial Pin-ups“. Mit diesen Sexbomben – einer Schreckensmischung aus Dolly Buster und Claudia Schiffer plus einer Prise Doris Day – erregt er Aufsehen. Für prüde Amerikaneraugen mag das shocking gewesen sein. In einer durcherotisierten Welt haben die blanken Busen, die Pos und Reizposen heute fast etwas rührend Nostalgisches.
Selten verlässt Ramos’ Bildsprache die Ästhetik der Reklame. Auch wenn er in den Siebzigern die Heroen der Kunstgeschichte für sich entdeckt – Caravaggio, Rubens, Manet. Und sie aufpoliert wie etwa die leeren Gesichter von Amedeo Modigliani. Überraschend setzt er sich 1977 mit Willem de Kooning auseinander – etwa in der durchaus als Hommage zu verstehenden Serie „I Still Get a Thrill, when I See Bill“: Typische Ramos-Porträts sitzen hier auf den aggressiv gezogenen Linien der de Kooning-Körper.
Ab den Neunzigern werden die Mädels konstruierter. Weil man sich schon so sehr an die Brüste gewöhnt hat, erlauben die neuesten Kunstharzdamen weiter unten sehr intime Einblicke. Aber selbst die können spätestens seit Jeff Koons Kopulierspielchen mit Porno-Queen Cicciolina nicht mehr erschüttern.
Zwangsläufig hinterlässt Lausen den tieferen Eindruck mit seinem Mix aus innerem und zeitgeistorientiertem Kunstkampf. Und vielleicht landet er ja wieder da, wo er hingehört. Neben Polke, Richter und Konsorten.
Christa Sigg
Beide Ausstellungen bis 3. Oktober, Dienstag bis Sonntag von 14 bis 18 Uhr