Philip Roth: Im weiten Land der Ängste

Philip Roth lässt in „Die Demütigung“ einen alternden Theaterstar auch erotisch scheitern
von  Abendzeitung

Philip Roth lässt in „Die Demütigung“ einen alternden Theaterstar auch erotisch scheitern

„Er hatte seinen Zauber verloren. Der Impuls war erloschen.“ Mit diesen knappen Sätzen leitet US-Schriftsteller Philip Roth (77), der Jahr für Jahr vergeblich auf den Literatur-Nobelpreis als Krönung seiner vielen Auszeichnungen hofft, seine jüngste Novelle „Die Demütigung“ ein, das grandios lakonische Porträt eines Scheiterns. Roths Protagonist ist Simon Axler, einer „der letzten großen klassischen amerikanischen Bühnenschauspieler“.

Vierzig Jahre lang feierte Axler Triumphe. Dann, mit Anfang sechzig, der große Bruch. Im New Yorker Kennedy Center versagte er als Prospero und, schlimmer noch, als geradezu lächerlicher Macbeth. Das war der Ausbruch seines „universalen Albtraums“. Die Ehefrau ist dem drogenkranken Sohn an die Westküste gefolgt und lässt sich nach dessen Tod scheiden. In seinem abgelegenen Farmhaus bricht Axler zusammen, steckt sich den Lauf der Repetierflinte in den Mund, dann verlässt ihn der Mut. „Wenn man die Rolle des eigenen Niedergangs spielt, dann ist es anders, dann ist es erfüllt von Angst und Entsetzen.“

Aus dem breitschultrigen, großen Mann mit der „befehlsgewohnten Stimme“ wird, „seines Talents, seines Platzes in der Welt beraubt“, ein Mann, der nur noch „aus der Summe seiner Defekte“ besteht. Axler lässt sich von seinem Arzt in eine psychiatrische Klinik einweisen, wo er im Kreise anderer Depressiver aller Lieblingsthema Suizid diskutiert. „Selbstmord ist das einzige, was man noch kontrollieren kann“, sagt ein pensionierter Lehrer.

Nach Wochen hat Axler „das Wunder des Nachtschlafs wiederentdeckt“ und kehrt zurück in sein Haus, wo ihn erst sein rührender alter Agent Jerry Oppenheim besucht und dann Pegeen, die 40-jährige Tochter eines befreundeten Schauspielerpaares. Von nun an ist Philip Roth, der grimmig-elegante, wortgewaltige Chronist menschlichen Makels und Verfalls, wieder bei seinem zweiten großen Thema, der sexuellen Obsession, der Alterserotik, auch dies ein weites Land von Versagensängsten („Das sterbende Tier“, 2008 von Isabel Coixet unter dem Titel „Elegy“ verfilmt mit Penélope Cruz und Ben Kingsley).

Diesmal geht Roth in seinen Schilderungen noch weiter, versteigt sich in eine Art poetischen Porno, wenn er Axler wieder Virilität gönnt bei den Akten mit Pegeen, der „umgemodelten“ Lesbe mit dem Faible für quietschgrünes Sexspielzeug. Die beiden Verlassenen klammern sich aneinander, schaffen so etwas wie Glück. Axler will sogar ein Kind mit Pegeen zeugen. Aber ein fatales Dreier-Intermezzo mit einer angetrunkenen Blondine ist der Anfang vom endgültigen Ende. Verlassen von Pegeen, findet Axler sich wieder am Dachboden, das Repetiergewehr in der Hand.

Angie Dullinger

„Die Demütigung“ (Hanser, 144 Seiten, 15.90 Euro)

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