Papas dunkles Geheimnis

Ein Tabu-Thema packend und psychologisch aufgegriffen: Baran Bo Odars hautnaher Gesellschaftskrimi „Das letzte Schweigen“ ist im Kino. Wotan Wilke Möhring spielt die Hauptrolle
von  Abendzeitung

Ein Tabu-Thema packend und psychologisch aufgegriffen: Baran Bo Odars hautnaher Gesellschaftskrimi „Das letzte Schweigen“ ist im Kino. Wotan Wilke Möhring spielt die Hauptrolle

Wotan Wilke Möhring, einer der wandelbarsten Schauspieler Deutschlands, ist in „Das letzte Schweigen“ einen fürsorglichen Familienvater, der über Jahrzehnte seine Neigung zur Kinderpornografie und die moralische Mitschuld an einem Mädchenmord verdrängt – bis er durch einen neuen Mord in der Kleinstadt von der Vergangenheit eingeholt wird.

AZ: Herr Möhring, sind diese dunklen Figuren eine größere Herausforderung als andere?

WOTAN WILKE MÖHRING: Die Diskrepanz zum normalen Leben ist da tiefer. So taucht man bei ihnen tiefer ins Schauspielwasser ein, arbeitet viel mehr an der Figur. Und dazu benötigt man wohl eine bestimmte Reife.

Was ist dieser Timo für ein Typ?

Er ist ein getriebener und zerrissener Mensch, der selbst unter seiner sexuellen Neigung leidet. Er findet jemanden, der diese Neigung teilt und ihn an einer Tat beteiligt, die ihn innerlich vor sich selbst ausspucken lässt. Er stellt sich seiner Neigung nicht, rennt weg und fängt ein neues Leben an.

Wie haben Sie sich auf diesen schwierigen Part vorbereitet?

Ich habe einfach sehr viel mit Regisseur Baran Bo Odar gesprochen. In „Antikörper“ von Christian Alvart habe ich auch schon mal eine ähnliche Zerrissenheit gespielt. In „Das letzte Schweigen“ waren mir die Szenen besonders wichtig, in denen Timo im Hotel noch einmal diesen Kinderporno schaut. Da tut ein Süchtiger etwas, das er eigentlich gar nicht will, fast schizophren. Was bleibt, ist das Schweigen, das alle zerstört.

Gehen Sie bei einer solchen Rolle voll auf Risiko?

Ich höre auf mein Bauchgefühl. Das ist wie beim Fußballspiel, der erste Tipp stimmt immer. Wenn man anschließend die Tabelle anguckt und nachkorrigiert, wird das nichts mehr. Ich bin auch ganz egoistisch in der Rollenauswahl, die muss etwas Neues für mich bedeuten. Das Image oder das, was die Leute über mich denken, ist zweitrangig. Jede Rolle ist anders, ist ein Wagnis, ein Sprung ins kalte Wasser. Jeder Film kann auch mal daneben gehen. Risiko ist ein Antriebsfaktor.

Ist Ihnen Timos Figur in die Knochen gekrochen?

Obgleich es kein physisch anstrengender Dreh war, war ich abends doch körperlich total fertig. Ich mochte den Timo, wie alle meine Rollenfiguren. So wurde ich unweigerlich Teil der Tragödie, die er jeden Tag mit sich herumschleppt, das war sehr aufreibend.

Sie haben mal gesagt, eine anstrengende Rolle harmonisiere den Alltag.

Die Rolle in „Das letzte Schweigen“ nicht unbedingt. Aber generell ist das schon so, dass man im Alltag umso mehr nach Harmonie strebt, wenn man vor der Kamera Dinge macht, für die man im normalen Leben ins Gefängnis kommen würde, die moralisch verwerflich sind und in der Realität nicht stattfinden dürften.

Würden Sie sich als harmoniebedürftig bezeichnen?

Ich glaube, dass sich grundsätzlich alle Menschen nach ein und derselben Harmonie sehnen: Alle wollen geliebt werden, das will ich natürlich auch. Das Schöne am Schauspielerberuf ist für mich, dass ich alles an Abenteuer und Tragödie los werden, dann aber ohne Konsequenzen vom Set gehen kann. Das ist zugleich Luxus und Herausforderung.

Schweigen wir zu viel in unserer Gesellschaft?

Wir schweigen vielleicht an den falschen Stellen. Es wird ja unheimlich viel geredet und wenig gesagt. Der Lärm ist eher unser Phänomen als die Stille. Die muss man sich heute teuer erkaufen. Viele haben auch eine gewisse Angst vor der Stille, weil sie sich dann mit sich selber beschäftigen müssen. In „Das letzte Schweigen“ wird zwar viel gebrüllt, aber alle schweigen – mit der Konsequenz, dass der wahre Täter letztendlich entkommt.

Haben Sie so etwas wie einen persönlichen Lebenstraum?

Ich möchte nicht mit 50 oder 60 aufwachen und sagen: Alles war Sch... Es hört sich wie ein Klischee an, aber am Ende der Reise – egal ob mit Enkeln um mich herum im Schaukelstuhl oder nicht – möchte ich sagen können, ich habe dieses Leben gut genutzt.

Margret Köhler

Kino: City 16.30 und 21.15 Uhr, Neues Rottmann 20.45 Uhr

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