"Orpheus" in der Pasinger Fabrik

Das Gewitter kam zu früh. Und zwar, so informiert der Dirigent Andreas Pascal Heinzmann zu Beginn der Premiere, um theater-inkompatible 40 Minuten. Besser wäre gewesen, wenn das Sturmtief "Lambert" nicht die Gäste durchnässt, sondern des Orpheus Reise in die Unterwelt begleitet hätte.
Macht nichts: In dieser Jubiläums-Produktion zum 25. Geburtstag der Pasinger Fabrik sind es die faszinierenden Video-Animationen von Leo Fraas, die anschaulich machen, wie die Gesichter der Furien erst gegen den Eindringling zürnen, sich dann aber erweichen lassen.
Die Kunst erweist sich also wieder einmal als der Natur überlegen. Oder, eher, der Mythos: Denn die Macher dieses Orpheus-Projektes, Regisseurin Melanie Renz, Librettist Paul Wiborny und der Musikdirektor und Arrangeur Heinzmann, haben weder das Musiktheater von Claudio Monteverdi noch die Reformoper von Christoph Willibald Gluck oder die Pariser Operette von Jacques Offenbach gewählt - sondern gleich alle drei.
Was nach Eintopf klingt, erweist sich jedoch als intelligente und sinnhafte Kombination, weil die einzelnen Werke nicht etwa zusammengerührt werden. Stattdessen wird die Hochzeit von Orpheus und Eurydike mit Monteverdis Musik erzählt, die Höllenfahrt mit der Dramatik des Opernreformers Gluck, und die Zustände in der Unterwelt, in der die Götter in den hübsch pompösen Kostümen von Johannes Geitl herumlungern, satirisch mit Offenbach.
Die Ausstattung von Münchens kleinstem Opernhaus, das manegeartige Gerüst und die drei filmisch bespielbaren schwebenden Kugeln, dürfte Teilen des Pasinger Publikums schon vertraut sein (Bühnenbild: Claudia Weinhart). Weil innenarchitektonisch alles gleich bleibt, wird umso greifbarer, wie das Geschehen hier im Gewand der drei Versionen als eine Art Opernhistorie in nuce präsentiert wird, unter welcher der Mythos wie auf mehrfach beschriebenen Manuskript zu erahnen ist; zumal Dirigent Heinzmann mit dem zehnköpfigen Kammerorchester die musikstilistischen Unterschiede herausarbeitet, ohne den großen Bogen aus den Ohren zu verlieren.
Nicht zuletzt hebt sich in dieser Produktion auch der einzige wesentliche Eingriff in den originalen Mythos effektvoll ab: Orpheus dreht sich auf dem Rückweg ans Tageslicht nicht unmotiviert zu seiner Frau um und verliert sie somit, gegen die Bedingung Plutos verstoßend, endgültig. Sondern Eurydike macht Orpheus klar, dass ihre Liebe ihre Unschuld verloren hat, und bleibt im Hades. Die Sopranistin Elif Aytekin, keine blasse Nymphe, sondern eine sinnliche, temperamentvolle junge Frau, gestaltet diesen Abschied mit den phänomenalen mimischen Möglichkeiten ihrer feinen Gesichtszüge so auratisch, dass die Zeit stehen zu bleiben scheint.
Überhaupt ergibt die Premierenbesetzung, von der hier nur die Rede ist, ein echtes Ensemble. Niklas Mallmann verkörpert mit seinem tiefenstarken Bariton einen ernsten Orpheus, Carolin Ritter strahlt als Amor mezzosopranistische Ruhe aus, überrascht jedoch auch mit quirliger Höhe.
In Offenbachs Operettenhölle geht es lustig zu: Der Tenorbuffo Stefan Kastner legt als Pluto einen steinerweichenden Ausdruckstanz hin, Markus Herzog gibt einen komödiantischen wie stimmlich attraktiven Jupiter, Sven Fürst einen vielschichtigen Charon, Philipp Gaiser einen schön phlegmatischen Bacchus. Und Karolína Plicková als Persephone ist ohnehin eine geborene Rampensau. Wir sind sicher, dass die Kolleginnen und Kollegen, die abwechselnd die weiteren Aufführungen bestreiten werden, genau so gut sind. Nur auf das Wetter ist, wie immer, kein Verlass.
Weitere Aufführungen im Juni: 24. und 30. Juni (19.30 Uhr), 25. Juni (17 Uhr), sowie im Juli bis zum 15. August in der Wagenhalle der Pasinger Fabrik bzw. im Innenhof der Blutenburg, Karten: Telefon 82 92 90 79 oder unter www.muenchenticket.de