Optische Wundertüte

Carlus Padrissa macht aus Puccinis „Turandot” in der Staatsoper ein gewaltiges Spektakel
von  Volker Boser

Tolle Bilder, tolle Musik, dazu Sänger, die zwar keine Bäume ausrissen, aber doch weit davon entfernt waren, zu enttäuschen: Man sollte meinen, dass das genügt, um die üblichen Missfallenskundgebungen zu bremsen. Doch das Gegenteil war der Fall. Am Ende – noch bevor der große Beifall einsetzte – gab lautes Buh von den Rängen die Richtung vor, das sich beim Erscheinen des Inszenierungsteams deutlich steigerte.

Vielleicht ja deshalb, weil diesmal erneut die Staatsoper für Effekte genutzt wurde, die mit dem Stück nicht immer etwas zu tun hatten. Doch der Disneyland-Glamour, den Regisseur Carlus Padrissa, Gründungsmitglied der katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus, Roland Olbeter (Bühne), Chu Uroz (Kostüme), Franc Aleu (Videoinstallation) und Urs Schönebaum (Licht) aus dem Hut gezaubert hatten, machte rundum Spaß. Die deftigen China-Klischees in Puccinis „Turandot” als tiefsinniges Operndrama zu deuten, wäre wohl ohnehin nur langweilig geworden.

Kaleidoskop in 3-D

So aber konnte man sich einfach einlullen lassen: von den hübschen Eisprinzessinnen, die über die Bühne schwebten und auch nichts von ihrer Grazie verloren, wenn sie einmal hinpurzelten. Das Kontrastprogramm dazu: Breakdance, schwarz vermummte Sensenmänner – und immer wieder Leuchtreklamen mit chinesischen Schriftzeichen. Schließlich befinden wir uns nach dem Willen der Regie in einem Europa des Jahres 2046 unter Chinas Herrschaft.

Das Getümmel auf der Bühne wurde von einem riesigen Auge überwacht. Wenn es vom Himmel schwebte, bekam der Zuschauer per Übertitel die Anweisung, die ihm zuvor am Eingang ausgehändigte 3-D-Brille aufzusetzen. Der Blick in ein riesiges Kaleidoskop weckte Jugenderinnerungen.

Für Kinofreaks gab es Szenen aus Ridley Scotts „Blade Runner”. Die Wundertüte von Padrissa und Co. war gefüllt mit Geschenken: knallig, bunt und bisweilen reichlich geschmacklos. Aber das war ausreichend aufregend. Denn auch die Musik ist voller Kontraste. Sie vereint Tragödie, Komödie und groteskes Märchen. Dem Chor kommt eine weitaus größere Bedeutung zu als in den übrigen Werken Puccinis. Wohl auch deshalb waren von ihm die überzeugendsten sängerischen Leistungen des Abends zu vernehmen.

Ein Glücksfall und sogar ein Happy End

Die Titelpartie wurde von der Amerikanerin Jennifer Wilson mit standfester Energie bewältigt, auch wenn die Stimme nicht allzu viel Durchschlagskraft besitzt („In questa reggia”). Marco Berti schmetterte den Pavarotti-Hit „Nessun dorma” ohne besonderen Ausdruck in den Saal und rettete sich ansonsten mit Kraft über die Runden. Liu (Ekaterina Scherbachenko) und Timur (Alexander Tsymbalyuk) beeindruckten da schon mehr. Auch Dirigent Zubin Mehta erwies sich als Glücksfall. Die Chinoiserien der Musik waren lautstark gegenwärtig: ob Zirkus, Kitschpostkarte oder Herzeleid – Atmosphäre stellte sich ein.

Man hatte sich entschlossen, das nach Skizzen des Komponisten nachkomponierte Finale wegzulassen. So endete das Geschehen mit dem Tod der Liu ein wenig abrupt. Aber wer ganz genau hinsah, dem blieben die versöhnlichen Gesten der zuvor so eisig grausamen Turandot nicht verborgen. Also doch ein Happy End.

Die nächsten Aufführungen am 7., 10., 14., 17. und 20. Dezember sind alle ausverkauft. „Turandot” ist wieder im April 2012 auf dem Spielplan. Der schriftliche Vorverkauf dafür beginnt am 11. Januar 2012

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