Opernfestspiele: "Semele" als routinierter Luxus
Nein, der Cocktail schmeckt ihr nicht. Der Schmuck sitzt zu eng und ist auch nicht wertvoll genug. Auf Pelze toter Tiere reagiert Semele allergisch. Tanzende Kellner langweilen sie. Dann steppt der nicht zum Bewegungskünstler geborene Jupiter: Vergeblich. Zuletzt versucht sich der Countertenor Jakub Józef Orlinski als Breakdancer. Das Publikum ist aus dem Häuschen, aber Semele will diesen Herrn halt nicht heiraten, sondern lieber Göttin werden.
Regisseur Claus Guth kann ein paar Sachen wirklich gut: längliche Da-Capo-Arien in Bewegung setzen, die Figurenkonstellation von Händels "Semele" in Bilder übersetzen und die Banalität sogenannter Traumhochzeiten hinreißend auf die Bühne wuchten. Aber ihm fällt kein Bild dafür ein, was es bedeuten könnte, dass die Titelheldin sich dem Liebesdrängen Jupiters verweigert, ehe sie ihn in göttlicher Gestalt gesehen hat. Deshalb zieht sich die Aufführung im zweiten und dritten Akt.
Am Anfang steht das Brautpaar wie Ken und Barbie auf der Bühne, bis Semele sich losreißt und nach der am Boden liegenden Adlerfeder greift, die sie an Jupiter erinnert. Irgendwie scheint sie sich nach einem - nur in ihrer Fantasie existierenden - Mr. Superperfect zu sehnen. Aber die Psychologie verläppert zuletzt in einem nichtssagenden Wald aus schwarzem Adlergefieder, bis am Ende die Traumhochzeit mit Sekt, Ringen und Fotografen in den sterilen, weißen Hotelsaal zurückkehrt.
Ob das Jupiterabenteuer real oder - vermutlich - nur in Semeles Kopf stattfindet, bleibt letztendlich so unklar wie egal. Auf handwerklich höchstem Regie-Niveau ereignet sich nichts, was man in den Händel-Aufführungen der letzten 30 Jahre nicht schon mehrfach gesehen hätte. Und sanft operettenhafter Leerlauf ist für viereinhalb Stunden doch etwas zu wenig. Man muss sich an die musikalische Seite halten.
Michael Spyres liefert auf der Bühne prompt, was seine Platten versprechen: einen baritonal grundierter Tenor mit satter Tiefe und enormer, mit perfekter Technik erzielter Höhe. Bei den Koloraturen sitzt jede Note, Wiederholungen werden klug und mit Geschmack variiert. Und ein intelligent-humorvoller Darsteller ist Spyres auch noch. Und auch wenn es nach Übertreibung klingt: Der Amerikaner ist so etwas wie ein perfekter Sänger - eine Seltenheit. In "Semele" darf er zwar mit "Where'er you walk" die schönste Arie singen, aber der erst im zweiten Akt auftretende Jupiter ist eine Nebenrolle edelster Art.
Brenda Rae spielt die verwöhnte Großbürgertöchter zwar bis in den psychischen Absturz hinein großartig. Aber die Stimme ist eng, und gegen Ende karikiert sie die Koloraturen, was zwar ganz erheiternd, aber musikalisch grenzwertig blieb. Gleiches gilt für das scharfe Timbre des Counters Jakub Józef Orlinski, das nicht wirklich zum geistesschlichten Liebhaber passt, den er hier zu spielen hat. Dass der Sänger mit seinen vielen Talenten ein Phänomen ist, sei aber keineswegs bestritten.
Auch die Mezzosopranistinnen Emily d'Angelo und Nadezhda Karyazina sowie der schlank singende Bass Philippe Sly sind exzellent. Der von Sonja Lachenmayr einstudierte Chor Lauschwerk prunkt mit klarem, hellem Glanz und das Staatsorchester fügt einen seidig-dunklen, opulenten Klang hinzu. Dass Dirigent Gianluca Capuana die Musik mit etwas Schlagwerk aufpeppt, stört nicht im Geringsten.
Musikalisch ist diese "Semele" rund. Wer allerdings in den letzten 30 Jahren schon ein paar Inszenierungen von Claus Guth gesehen hat, dem wird das großbürgerliche Setting (Bühne: Michael Levine) samt der neurotischen Tochter im weißen Unterhemd sehr bekannt vorkommen. Und weil die letzte Vorstellung der nicht ganz schlechten "Semele" des Gärtnerplatztheaters erst vor fünf Jahren stattfand, haftet ein Beigeschmack von routiniertem Luxus an der Aufführung. An in München ungespielten Barockwerken herrscht nämlich kein Mangel.
Wieder am 18., 20, 22. und 25. Juli im Prinzregententheater, alle Vorstellungen ausverkauft