Oliver Storz: „Ich bin ein Besessener“

Zu seinem 80. Geburtstag beschenkt sich Autor und Regisseur Oliver Storz mit dem spannenden ARD-Film „Die Frau, die im Wald verschwand“. Ein Zeitgeistporträt der 50er Jahre.
von  Abendzeitung

Zu seinem 80. Geburtstag beschenkt sich Autor und Regisseur Oliver Storz mit dem spannenden ARD-Film „Die Frau, die im Wald verschwand“. Ein Zeitgeistporträt der 50er Jahre.

Ich treffe mich gerne mit Ihnen, aber nur an einem Ort, an dem man rauchen kann.“ Da kennt der Regisseur und Autor Oliver Storz, der am Donnerstag seinen 80. Geburtstag feiert, keine Ausnahme.

„Wer es so gelernt hat wie ich, der gewöhnt es sich auch nicht mehr ab“, sagt Storz und ist gedanklich im April 1945, als er in der Nähe seiner Heimat Krailsheim als 15-Jähriger im Volkssturm mit einem Karabiner 98 und belgischer Munition, die nicht passte, in letzte Infanteriekämpfe gegen die Amerikaner verwickelt wurde. Zu essen gab es nichts, aber der Gruppenführer hatte eine Stange Zigaretten dabei: „Kommt, raucht, dann geht die Angst weg, hat er gesagt. Das haben wir auch so empfunden.“

In seinem Roman „Freibadclique“ hat Storz beschrieben, wie die Jugendlichen vom Schwimmbad in den Krieg geschickt wurden. Der gleichaltrige Hans Magnus Enzensberger war 20 Kilometer Luftlinie entfernt von Storz stationiert, das fanden die beiden gute sechs Jahrzehnte später heraus. „Ich werde oft gefragt, warum ich von dieser Zeit nicht loskomme“, sagt Storz, „aber neben der Prägung ist es noch etwas anderes: Es war bis in die 50er Jahre eine Epoche, in der viel unverhüllter als in dieser trotz Wirtschaftskrise behüteten Zeit, sich ganz unverhüllt der Mensch gezeigt hat – im Guten wie im Bösen. Dessen Grundzusammensetzung war nie so hell beleuchtet.“ Für Storz, den leidenschaftlichen Erzähler, eine Zeit voller Geschichten.

Aus dem Schwimmbad ging's in den Krieg

Auf seiner alten Olympia-Schreibmaschine entstand auch das Drehbuch für seinen neuen Film „Die Frau, die im Wald verschwand“, sein Zeitgeistporträt der 50er Jahre. Oberbürgermeister Gerd Vorweg (Stefan Kurt) führt ein zufriedenes Leben. Einige Jahre nach Kriegsende hat er seiner Stadt durch die Ansiedlung eines großen Textilbetriebs wieder zu Aufschwung und Wohlstand verholfen. Er ist beliebt und führt mit der schönen Katharina (Karoline Eichhorn) nach außen eine Vorzeigeehe. Als Katharina plötzlich verschwindet und sein alter Kriegskamerad Horst Karg (Matthias Brandt) unerwartet bei ihm auftaucht, gerät Gerds Idylle ins Wanken.

Der wilde, farbige Zeitgeist der 50er Jahre

„Heute redet man von den 50er Jahren als einer Zeit der Spießig-, Bieder- und Wohlanständigkeit in sexuellen Dingen. Ich habe die 50er Jahre ganz anders erlebt“, erzählt Oliver Storz. „Hinter den Kulissen ging es drunter und drüber. Ich glaube sogar sehr viel farbiger als heute.“ Beeindruckt hat ihn auch „diese unglaubliche Artistik, mit der alles sofort wieder verdrängt wurde“. Das Stück über Schuld und Verdrängung, Ehrgeiz und Moral hat Storz mit seinen fantastischen Schauspielern als beeindruckendes Kammerspiel inszeniert. „Wenn man eine Situation hat, die vitalitätsgeladen ist, dann gibt es doch nichts Spannenderes, als das, was sich Menschen erzählen, beziehungsweise verschweigen.“

Der Zufall verhalf dem Sohn des früheren Kultusministers von Baden-Württemberg, Gerhard Storz, auf den Regiestuhl. Seit 1960 arbeitete er als Autor und Produzent in der Fernsehabteilung der Bavaria, doch als der gebuchte Regisseur für „Musik auf dem Lande“ (1980) ausfiel, musste Storz einspringen, obwohl ZDF-Intendant Dieter Stolte zunächst dagegen war. Nach der Ausstrahlung rief Stolte erneut an: „Herr Storz, ich will ihnen mal was sagen. Diesen Film durften Sie machen, den nächsten müssen Sie machen.“ Damit war klar, dass Autor und Regisseur von nun an eine Person waren.

Noch gefragt zu sein, ist für Storz eine Lebensversicherung

Vor allem mit seinen zeitgeschichtlichen Themen hatte Storz Erfolg: Mit Bruno Ganz in einer Hauptrolle realisierte er „Gegen Ende der Nacht“ (1998) um einen fünffachen Mord im Dezember 1945 und bekam dafür den Adolf-Grimme-Preis in Gold. „Im Schatten der Macht“ (2003) über den früheren Bundeskanzler Willy Brandt, dargestellt von Michael Mendl, brachte den Fernsehdurchbruch für Matthias Brandt, der als Kanzleramtsspion Günter Guillaume den Mann spielte, der im realen Leben seinen Vater stürzte.

Nun ist der Mann, der neben vielen TV-Höhepunkten auch einiges an Gebrauchsware geliefert hat – von „Raumpatrouille Orion“ bis „Der Alte“ – der wohl älteste tätige Regisseur in Deutschland. „Ich hatte in den letzten Jahren schon leichte Angst vor der Frage, wie ich die Dreharbeiten durchhalten sollte. Regie führen ist wirklich Knochenarbeit. Aber Produzentin Regina Ziegler sagt mir immer: ,Das schaffst Du, mit der ersten Klappe wirst Du zehn Jahre jünger.’“

Noch gefragt zu sein, ist für Storz schließlich eine Lebensversicherung. Man muss nur hören, wie verächtlich er das Wort „Urlaub“ ausspricht (zwanzig Jahre liegt sein letzter zurück), um zu verstehen, dass dieser rege Geist keine Ruhepausen will und braucht. „Ich bin ein Besessener“, sagt er und ist schon bei den Plänen für den nächsten Film.

Volker Isfort

29. April, ARD, 20.15 Uhr

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