Oh Zeiten, oh Sitten

Besser als Lateinunterricht: Robert Harris schreibt mit "Titan" einen Politthriller aus dem alten Rom mit Cicero als Hauptfigur
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Besser als Lateinunterricht: Robert Harris schreibt mit "Titan" einen Politthriller aus dem alten Rom mit Cicero als Hauptfigur

Was für ein Arschloch! So ein verlogenes Stück Scheisse!" Nun ja, im Lateinunterricht klang Cicero ein wenig gewählter als im Roman "Titan" des britischen Bestsellerautors Robert Harris. Aber der Wutanfall des römischen Konsuls im Jahr 63 vor Jesus Christus ist nicht ganz unbegründet. Schliesslich sind es ja Senatoren und Patrizier um Catilina, die die Macht in einer Verschwörung an sich reissen wollen und dabei in Kauf nehmen, mit den Galliern, Sklaven und den Armen Teile Roms in Brand zu stecken.

Wie schon in "Imperium", dem ersten Teil seiner grossen, als Trilogie geplanten Cicero-Romanbiografie, lässt Harris den Sekretär Tiro Zeugnis ablegen über seinen Dienstherren, den wir nun in "Titan" gleich mit dem Beginn seines Konsulats kennenlernen. Diesen Tiro gab es wirklich, als Sklave schrieb er die Reden Ciceros im Senat mit - als erster Mensch überhaupt, wie Harris im Nachwort bemerkt. Tiros Kurzschrift hielt sich Jahrhunderte, einzelne Kürzel wie etc. benutzen wir noch heute. Aber die Biografie, die Tiro nachweislich über seinen Herrn verfasste, überlebte den Untergang des Römischen Reiches nicht. Harris hat sie nun geschrieben, mit seiner Faktenversessenheit, die ihn andererseits nicht an schriftstellerischen Freiheiten hindert.

Die catilinarische Verschwörung

Nur fünf Jahr Lebenszeit Ciceros umfasst das spannende zweite Werk. Harris, der seine Reihe historischer Romane nur durch die Tony-Blair-Fiktion "Ghost" unterbrochen hat, zielt natürlich auf die Machtfrage, den Kern des politischen Handelns. "O tempora, o mores", ruft Cicero in seiner berühmten ersten Rede gegen den Verschwörer Catilina im römischen Senat. Wie verfallen die Zeiten und Sitten im alten Rom da schon sind, auch darauf verwendet der versierte Unterhalter Harris etliche süffisante Beobachtungen. "Prüde", nennt Tiro in der Rückschau seinen Dienstherren: "Wie sein Stottern, seine kränkliche Jugend oder seine schwachen Nerven betrachtetet er Leidenschaft als einen Nachteil, den es durch Disziplin zu überwinden galt."

Dafür wittert Cicero sofort, wenn die Feinde der Republik zu denen auch der machtgierige junge Caesar gehört, die republikanische Idee verraten wollen. Sein Cicero ist ein von Idealen getriebener Denker, ein gütiger und bisweilen fast schüchterner Mensch voller (Selbst-)Zweifel, der bei seinen teils vorbereiteten, teils spontanen Reden ein ausserordentliches Talent offenbart.

Pater Patriae

Seinen politischen Niedergang aber kann der mit dem Titel Pater patriae ("Vater des Vaterlandes") Geehrte nicht stoppen. Er fällt schliesslich durch die Nachwirkungen eines Skandals, als Ciceros Freund Clodius in Frauenkleidern in Caesars Haus eindringt, das Männern für die Zeit der Bona Dea Feier verboten ist. Caesar muss sich daraufhin von seiner Frau Pompeia trennen, Cicero aber wird gegen seinen Willen Zeuge im Prozess gegen Clodius - und erntet damit eine verhängnisvolle Feindschaft.

Die Zutaten für seine Politthriller mögen zweitausend Jahre alt sein, bei Harris aber rieselt aus keiner Seite Staub.

Volker Isfort

Robert Harris, "Titan" (Heyne, 540 Seiten, 21,95 Euro)

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