Oh Gott, eine Brust!

Luc Bondys „Tosca“, die Premiere der Münchner Opernfestspiele 2010, konnte man am Samstag schon im Kino bewundern – als gelungene Liveübertragung aus der New Yorker Met
von  Abendzeitung

Luc Bondys „Tosca“, die Premiere der Münchner Opernfestspiele 2010, konnte man am Samstag schon im Kino bewundern – als gelungene Liveübertragung aus der New Yorker Met

Eurotrash - europäischer Müll": Starker Tobak, was die Amerikaner Luc Bondy um die Ohren hauten, nachdem sie seine „Tosca" in der Met gesehen hatten. Aber was gehen uns die konservativen Opern-Freaks in New York an? Viel. Denn Bondys Puccini-Inszenierung wird die Münchner Opernfestspiel-Premiere im nächsten Jahr.

Originellerweise konnte man sie am Samstagabend vorab in München sehen – per Satellitenübertragung live aus der Met. Und am Ende war klar: Die Operngänger in der Neuen Welt, sind nicht nur konservativ, sie müssen reaktionär sein. Denn Luc Bondy, zweifelhaft als „Avantgardregisseur“ tituliert, mutet dem Zuschauer das Gegenteil dessen zu, was als Regietheater nicht erst seit Daniel Kehlmanns Angriff als Werkvergewaltigung gilt. Seine Inszenierung löste nach 25 Jahren Franco Zeffirellis Klassikkitsch ab. Wer das antike Rom kennt, wird sich an der klassischen Caracallathermen-artigen Ziegelhalle nicht stören, in der Maler Cavardossi (in New York: Marcello Álvarez) seine sündige Maria Magdalena im ersten Akt pinselt.

Auch des Polizei-Diktators Scarpias Verhör-Palast im 2. Akt ähnelt kaum dem Renaissancepalazzo Farnese. Aber der Schauplatz seines pervers-sadistischen Liebesfolter-Machtspiels ist passenderweise eine einschüchternde Wohn-Halle im kalten Mussolini-Stil. Hier sieht man den Bösen (George Gagnidze) mit Kurtisanen sich auf rot-samten Riesensofa räkeln, für amerikanisch-puritanische Verhältnisse ist skandalöserweise kurz sogar eine Brust entblößt. Es ist ein allenfalls angedeutetes pasolineskes „120 Tage von Sodom“-Zitat. So sieht der Zuschauer zwar kein Postkarten-Rom, aber klare und kluge, völlig unprovokante Bühnenarchitektur. Und auf die Finnin Karita Mattila als Tosca kann sich München echt freuen: Intensiv, aber nicht affektiert und mit mühelos klarer Stimme, begeisterte sie sogar das Kinopublikum zu einem Leinwandapplaus nach der Arie „Vissi d'arte“.

Schade nur, dass der n New York eingesprungene Georgier Gagnidze (vorerst) nicht in München singt. Er steht in seiner raumgreifenden geifernden Lustsadismus im drohenden Untergang kaum einem Tito Gobbi nach, der mit der Callas „Tosca“-Maßstäbe gesetzt hat.

Adrian Prechtel

Die nächste Met-Liveübertragung im Münchner Cinema ist am 7. 11. Puccinis „Turandot“

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