Nicht auf der Rasenkante gehen!
Vor 100 Jahren verkaufte Thomas Mann seine Villa in Bad Tölz. Das oberbayerische Stadt feiert das Jubiläum mit Lesungen, Ausstellungen und Führungen
Er baute nicht ganz so viel wie unser schwermütiger König. Aber Thomas Mann ist der Ludwig II. unter den deutschen Schriftstellern. Niemand beschäftigte die Maurer wie er. Er ließ ein Landhaus bei Bad Tölz errichten, die Villa im Herzogpark und ein Sommerhaus auf der Kuhrischen Nehrung. Das Exil verlebte er am Rand von Los Angeles in seiner Villa in Pacific Palisades. Nur in Kilchberg bei Zürich lebte die Familie in einem bereits bestehenden Gebäude.
Die meisten dieser Häuser sind weit weg oder zerstört - wie die Villa im Herzogpark. Das für Münchner nächste Thomas-Mann-Haus ist das unbekannteste: seine nahezu im Originalzustand erhaltene Villa in Bad Tölz. Die Armen Schulschwestern erwarben sie 1926. Sie nutzen das Haus in der Heißstraße als Erholungsheim ihres Ordens.
Thomas Manns Monogramm ziert den Eingang. Die Innenräume wurden in sehr schlichte Gästezimmer verwandelt. Den Vorbesitzer ehrt ein Bildnis neben der Türe. In der Diele mit dem unveränderten Treppenhaus stehen Bücher von Thomas Mann und die einschlägige Sekundärliteratur.
Die Mikrowelle der Manns
Das Herrenzimmer, in dem Teile des Romans "Der Zauberberg" entstanden, ist heute eine rustikale Wohnküche. Ein altes Einbauschränkchen soll das einzige erhaltene Möbel sein: Darauf steht eine Mikrowelle. Früher kochte man im Keller - neben dem Bügelzimmer. Derlei überließen die Manns den Dienstboten des "Herrensitzchen", wie der Dichter sein Haus scherzhaft nannte.
Der nach einem Entwurf des Architekten Hugo Roeckl im Winter 1908/09 errichtete Bau kann normalerweise nicht besichtigt werden. Für einige Journalisten machten die Schwestern aus Anlass des Jubiläumsjahrs eine Ausnahme. Aber es ist natürlich erlaubt, bei der Gedenktafel über den Zaun zu schauen.
"Es zeigt den eleganten französischen Stil eines Landhauses, dessen vordere Front und die Seitenwände mit grünbestrichenen Latten beschlagen sind, die einmal von einem Efeugewächs durchzogen sein werden", meldete der "Tölzer Kurier" nach der Fertigstellung. "Das Haus ist von der Bairawieser Straße aus erreichbar und liegt hinter den Villen Hüls und Göbl, ein Platz, der eine schöne Aussicht bietet."
Die Büchse der Pandora
So steht es noch immer da, äußerlich unverändert. Wie viel Thomas Mann für den Bau bezahlte, weiß man nicht. 10 000 Reichsmark kostete das Grundstück. Der dritte Stock der Schwabinger Franz-Joseph-Straße 2 blieb die Hauptwohnung der Manns.
Die Familie verbrachte nur ihre Sommermonate im Oberland. Die Kinder wurden von einem Hauslehrer unterrichtet. Sie lernten im nahen Klammerweiher schwimmen und spielten Tennis. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, probten sie der Überlieferung nach ein Theaterstück über den mythologischen Stoff "Büchse der Pandora".
Im eigenen Haus wird der Urlaub schnell langweilig
Zu luxuriös darf man sich das Leben nicht vorstellen: Thomas Mann, der als letzter der Familie badete, bekam oft kein warmes Wasser mehr. Der Schriftsteller teilte die Erfahrung anderer Familien mit Sommerhäusern auf dem Land: Der Urlaub in den eigenen vier Wänden wurde bald langweilig.
Als die Manns 1911 in den Herzogpark umzogen, verbanden sie dort eine gewisse Abgeschiedenheit mit Stadtnähe. Schon 1913 wurde ein Käufer für die Tölzer Villa gesucht. Ein Jahr später setzte Mann ein Inserat in die "Neue Rundschau". Doch erst 1917 erwarb der Verleger Willy Wiegand das Haus.
Der Patriot zeichnet Kriegsanleihe
Mit dem Erlös von 65 000 Reichsmark wettete der noch national gesonnene Schriftsteller auf den deutschen Sieg im Weltkrieg: Er zeichnete Kriegsanleihen, die bald wertlos wurden. Die Bücher der Mann-Kinder verklären Tölz zum verlorenen Paradies, obwohl ihr Vater im Garten streng auf Ordnung bedacht war: "Nicht auf der Rasenkante gehen!", ermahnte er seinen Nachwuchs.
In Tölz entstanden die Novelle "Tod in Venedig", große Teile des "Zauberberg" und die "Betrachtungen eines Unpolitischen". Trotzdem hat die Villa im Werk eher schmale Spuren hinterlassen. Das zentrale Schnee-Kapitel im "Zauberberg" soll von den niederschlagsreichen Tölzer Wintern beeinflusst sein. Der Hühnerhund Bauschan ist gebürtiger Tölzer, aber die dortige Landschaft bleibt in "Herr und Hund" unbeschrieben. Im "Doktor Faustus" kommt zwar der Klammerweiher vor, aber er ist leider ins (umbenannte) Polling verlegt.
Ludwig Thoma statt Thomas Mann
Die lokale Nachgeschichte ist wenig rühmlich. 1957 sollte eine Straße nach dem Weltbürger benannt werden, doch man ehrte lieber den Lokalpatrioten Ludwig Thoma. 1965 scheiterte der Versuch eines Lehrers, das örtliche Gymnasium nach Thomas Mann zu benennen. Und eine 1989 am Klammerweiher von Golo Mann gepflanzte "Friedenseiche" wurde noch 2005 angesägt.
Ein Jahr später erfolgte eine Neupflanzung mit weiteren Bäumen zur Ehrung der Familie Mann. "Die Hundetoilette freilich, die später in das Baumensemble platziert wurde", schreibt der Mann-Forscher Dirk Heißerer, "kann als Hommage für den legendären Hund der Manns, Bauschan vom Kogel, nicht recht überzeugen."
Daniel Lang: "Nicht auf der Rasenkante gehen" (erweiterte Neuausgabe, Konigshausen & Neumann, 218 S., 29,80 Seiten)
Auf den Spuren der Familie Mann in Bad Tölz
Im Rathaus der Stadt startet das Jubiläumsjahr am 5. April mit einem Vortrag zum Thema „Thomas Mann in Bad Tölz“. Zugleich wird die Neuauflage des Buchs von Daniel Lang über das Haus des Schriftstellers vorgestellt.
Zwischen Mai und September können interessierte Besucher an Wochenenden begleitet durch die Stadt spazieren. „Da sich die Werke von Thomas Mann durch akribische Szenenbeschreibungen auszeichnen, sind die Zusammenhänge gut erkennbar“, erklärt Martin Hake, der sich der ThomasMann-Forschung rund um Bad Tölz verschrieben hat. Der Experte führt an einigen Wochenenden auch selbst.
Vom 15. bis 17. September tagt die Thomas-Mann-Gesellschaft im Kurhaus. Die Vorträge sind teils öffentlich. Das übrige Jahr über umkreisen Ausstellungen im Stadtmuseum, Lesungen und Konzerte das Thema Mann. Wer keine Führungen mag, kann sich mit Hilfe eines Flyers selbst auf den Weg machen.
Verhungern und verdursten muss in Tölz auch niemand. Es gibt ein „Thomas-Mann-Bier“. In einzelnen Gaststätten spezielle Menüs nach Rezepten der Familie Mann. Noch ein Tipp: Tölz ist mit der Oberlandbahn nur eine gute Stunde von München entfernt. Auch der Schriftsteller nahm den Zug.
Infos zum Tölzer Thomas-Mann-Jahr unter www.azmuc.de
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