Neuer Roman: Helene Hegemann in Gespräch
Real? Reell? Oder gar autobiografisch? Helene Hegemann über ihren neuen Roman.
Sie ist gerade mal 21 – und bringt bereits ihren zweiten Roman heraus. Helene Hegemann, Jungautorin aus Berlin, erklärt, worum es ihr in „Jage zwei Tiger“ geht. Und wie sie die Plagiatsdebatte um ihr erstes Buch „Axolotl Roadkill“ heute sieht.
AZ: Frau Hegemann, kennen Sie im wirklichen Leben auch so viele kaputte Typen, wie in Ihrem Buch vorkommen?
HELENE HEGEMANN: Was heißt kaputt? Ich finde, die dealen alle halbwegs adäquat mit ihrer Kaputtheit. Sie sind interessiert daran, mit ihren Verhaltensmustern umzugehen und gegen sie anzukämpfen, ohne jemanden dabei mit einer Axt zu bedrohen. Ich glaube, es gibt genau zwei konkrete Arschlöcher in dem Buch, und das sind letztlich die, die objektiv betrachtet allen gesellschaftlichen Standards entsprechen und als gesund gelten.
Sie behandeln wieder Ihr Grundthema: Mutter stirbt, Kind geht zum Vater und muss sich von Traumata befreien. Was hat das mit Ihrer eigenen Geschichte zu tun?
Es geht um drei Teenager, die sich in Extremsituationen befinden, denen was wegbricht, was ihre Lebensbedingungen ausgemacht hat. Dazu müssen sie sich neu verhalten. Gute Grundvoraussetzung für eine Geschichte, die von was anderem als pubertärer Langeweile handelt.
Verarbeiten Sie Ihre eigene Geschichte?
Kaum. Vielleicht tue ich genau das Gegenteil. Beim Schreiben befreit man sich vom Skript des eigenen Lebens. Das ist einer der Gründe, weshalb man es überhaupt macht. Von nichts, was ich schreibe, würde ich je behaupten, dass es knallharte Realität sei. Es soll reell sein, nicht im stumpfen Sinne „authentisch“, was alle immer beanspruchen.
Was treibt Sie, diese Geschichten zu erzählen?
Ein ganz effekthascherischer Impuls, Gott zu spielen. Geschichten zu schreiben bedeutet, eine Welt für real auszugeben. Abgesehen davon, natürlich großes Interesse an psychosozialen Strukturen. Das könnte man auch in einem Psychologiestudium unterbringen, aber ich habe leider kein Abi. Und es macht einfach sehr viel Spaß – und ich kann nicht so viel anderes.
Bei Ihrem Erstling sind Sie erst als Wunderkind gefeiert worden, dann wurde auf Sie eingeklopft. War das eine Hürde für den neuen Roman?
Das ist witzig, die Frage kriege ich oft gestellt. Aber im Gegenteil – das ist ein Startschuss, wirklich das zu machen, was man will. Stilechter Befreiungsschlag. Man hat weder einen Ruf zu verteidigen noch einen aufzubauen, sondern der Name ist ein Stück weit verbrannt. Außerdem vergisst man sowas ziemlich schnell.
Sind Sie ungerecht behandelt worden?
Ich glaube, die Thematik ist jenseits der Fakten behandelt worden. Es ging ja nur um zwei von 200 Seiten. Aber der allgemeine Duktus lief ja darauf hinaus: Ach, das ist die, die aufgrund mangelnder Coolness ein fremdes Buch kopieren musste.
Was hat Ihr Vater, der Dramaturg Carl Hegemann, zu dem neuen Buch gesagt?
Ich glaube, der mag’s ganz gerne, auch wenn sich unsere Geschmäcker an vielen Stellen sehr unterscheiden. Jedenfalls hat er wahnsinnige Panik, dass man ihn für diesen sexsüchtigen, drogenabhängigen Vater halten könnte, wo er doch seit Jahren in einer monogamen Beziehung lebt, vor Drogen Angst hat und irre nett ist. Er ist ungelogen ziemlich toll.