Neuer Krimi "Alles was ich dir geben will"

Die spanische Krimiautorin Dolores Redondo hat mit ihrem Roman "Alles was ich dir geben will" den Premio Planeta gewonnen und den internationalen Durchbruch erzielt
Im rauen Nordwesten Spaniens ist die Kultur keltisch geprägt. Das historische Instrument ist der Dudelsack, und es gibt aus gutem Grund im Galicischen mehr Wörter für Regen als in der spanischen Sprache. Die tiefgrüne Landschaft erinnert eher an Irland als an Andalusien oder Kastillien. Das ehemalige Armenhaus Spaniens war wie Irland ein traditionelles Auswandererland, viele suchten Arbeit in den Industriestädten des Baskenlandes, im fernen Madrid oder fanden ihr Glück gleich jenseits des Atlantiks, wie beispielsweise Fidel Castros Vater. Galicien ist eine Region, die auch für viele Spanier tierra incognita geblieben ist, wenn sie sich nicht gerade auf den Pilgerweg nach Santiago de Compostela begeben. Die Krimiautorin Dolores Redondo hat einen galicischen Vater, wuchs aber im Baskenland auf und lebt nun im benachbarten Navarra. Mit ihrer Krimitrilogie um die die baskische Inspectora Amaia Salazar wurde sie auch international bekannt, derzeit werden die Romane in deutscher Ko-Produktion verfilmt.
600 000 Euro Preisgeld - undenkbar in Deutschland
Doch ihren großen Durchbruch erzielte sie 2016 mit ihrem in Galicien spielenden Roman „Alles was ich dir geben will“, der mit dem Premio Planeta ausgezeichnet wurde, dem wichtigsten spanischen Literaturpreis, und nun auf Deutsch erscheint. 600 000 Euro sind die aus deutscher Sicht unvorstellbare Preissumme des Premio Planeta, die Werbetour führte Dolores Redondo von Argentinien bis Australien.
„Es waren die vielen Leser, denen ich den Preis zu verdanken habe“, sagt die Autorin. Klar, auch sie hat schon im Palacio Real auf Einladung des spanischen Königs diniert, doch die zur Kontaktpflege so wichtigen Cocktailpartys des Literaturbetriebs in Madrid oder Barcelona liegen ihr fern. Sie gehe lieber mit Freunden in eine Bar bei ihr um die Ecke, um zu wissen, was die Menschen wirklich denken, sagt sie.
John Connoly, ein irischer Autor, hatte ihr bei einem Krimifestival empfohlen, sich nicht so früh allein auf eine Serien-Ermittlerin zu beschränken. Denn sonst hängt man als Krimi-Autor schnell im Rollenkorsett der erfolgreichen Figur. Redondo beherzigte den Rat und wechselte für „Alles was ich dir geben will“ ihr Personal und den Schauplatz. Mit den Augen des Fremden entdeckt im Roman ihr Protagonist, der Madrider Schriftsteller Manuel, das ihm unbekannte Galicien, nachdem ihm zwei Polizisten eine schreckliche Nachricht übermittelt haben. Sein Ehemann Álvaro sei bei einem Autounfall in der galicischen Weinregion Ribeira Sacra gestorben, erklären sie ihm. Dabei hatte der Geschäftsmann vor der Abreise erklärt, ein Bauprojekt in Katalonien zu betreuen und angeblich von dort noch am Tag vorher angerufen? Hat Álvaro in den über zehn Ehe-Jahren ein ominöses Doppelleben geführt, das Manuel in seinem Wolkenkuckucksheim als Autor nicht wahrnehmen wollte?
Kirchenkritik ist der Katholiken wichtig
Wütend, verzweifelt und aller Gewissheiten beraubt, fährt Manuel nach Galicien und verliert den Boden unter den Füßen. Denn, was sich ihm nun offenbart, ist eine Seite seines Mannes, von der er nicht die geringste Ahnung hatte.
Álvaro war Spross der galicischen Adelsfamilie Muñiz de Dávila. Und nach dem Tod seines Vaters hatte er in den letzten Jahren als Erstgeborener, das in Schieflage geratene Familienvermögen behutsam saniert. Manuel, so eröffnet ihm der Notar, soll sein Erbe sein, aber das ist nicht der einzige Grund, warum die verbliebenen Familienmitglieder den „Eindringling“ mit allergrößter Skepsis und Frostigkeit empfangen.
Manuel lernt den gerade in die Pension entlassenen Polizisten Nogueira kennen, der einen ganz eigenen Blick auf die feudale Machtausübung der Muñiz de Dávilas in den letzten Jahrzehnten hat. Vor allem aber glaubt er nicht an den Unfalltod Álvaros, eine befreundete Pathologin bestärkt ihn. An Polizei und Familie vorbei ermitteln die drei und stoßen im Laufe der Handlung auch auf eine lange zurückliegende, grausame Episode hinter Klostermauern, die das Leben der Klosterschüler Álvaro und seines kleinen Bruders prägen sollte. Es geht natürlich um Missbrauch.
In allen ihren Romanen spielt Kirchenkritik eine große Rolle, denn die Aufarbeitung von Missständen ist der gläubigen Katholikin Dolores Redondo immens wichtig. „Aber ich merke an den Briefen, die ich bekomme, dass ohnehin jeder sein eigenes Buch liest. Für manche steht die Kirchenkritik im Mittelpunkt, für andere die homosexuelle Beziehung, für andere Galicien, oder die feudale Familie. Ich finde, dieser Krimi ist ein Liebesroman, auch wenn der eine Liebende schon auf der ersten Seite tot ist.“ Als souveräne Erzählerin hält sie zudem auch die Krimispannung bis zur letzten Seite aufrecht. Über 500 000 Exemplare hat Dolores Redondo von ihrem Roman inzwischen in Spanien verkauft – und längst haben sich die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschoben. Casa Grande de Rosende, ein fast 600 Jahre alter Landsitz, ist auf dem Cover der galicischen Ausgabe von „Alles was ich dir geben will“ abgebildet. Den aktuellen Besitzer hat Dolores Redondo zwar erst nach dem Erscheinen des Buches kennengelernt, aber für ihre Fans ist klar: Dieses zum Hotel umgebaute Haus ist Pazo As Grilleiras, der Stammsitz der Familie Muñiz de Dávila und deswegen übernachten hier nun auch Redondos literarische Pilger, die Galicien mit dem Roman entdecken wollen. Es ist – auch kulinarisch gesehen – eine hervorragende Idee.
Erst ein Restaurant - dann die Bestseller
„Seit ich 15 Jahre alt bin, wollte ich Autorin werden“, sagt Dolores Redondo. Erst einmal aber kam ihr das Leben dazwischen. Sie studierte Jura, ließ sich dann aber vom gastronomischen Boom im Baskenland mitreißen, absolvierte eine Kochschule und eröffnete ein eigenes Restaurant, das sie zwei Jahre am Laufen hielt. „Es war eine Schule fürs Leben“, sagt die Autorin, denn nie habe sie so hart gearbeitet wie zu dieser Zeit.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum sie heute elfstündige Schreibarbeit täglich normal findet. Die einzige Sorge, die sie dabei umtreibt, ist, sich zu sehr in der eigenen Phantasie zu verfangen, so wie es sich Manuel im Roman vorwirft. Doch so bodenständig wie die zweifache Mutter wirkt, scheint die Sorge abwegig.
Auch Manuel zeigt sich im Roman immer mehr für das wahre Leben empfänglich. Er lernt die Landschaft kennen, das völlig andere Lebenstempo, das galicische Matriarchat in Form der ganz besonders garstigen Mutter Álvaros. Und er erlebt bei der Besichtigung „seines“ Weingutes wie hart die Rebenernte in den steil aufsteigenden Weinbergen ist. Manche Felder sind zudem nur per Boot zu erreichen, wie Dolores Redondo den Journalisten bei einer Fahrt über den Miño zeigt.
Bootsfrau Luisa Rubines freut sich über den Besuch. Mit 18 Jahren hat sie die spärlich bevölkerte Gegend verlassen, verbrachte zwei Jahre in Madrid und weitere zwanzig in London, bis das Heimweh zu groß wurde. Sie kaufte sich ein Boot, startete Touristentouren und ist der Autorin dankbar, dass sie nun zwei Gruppen von Reisenden hat, die ihren kleinen Betrieb über Wasser halten. Die Pilger auf dem „Camino de Invierno“, einer Alternativroute nach Santiago de Compostela und die Leser auf den Spuren des Romans. „Das ist vielleicht der schönste Nebeneffekt von meinem Buch“, sagt Dolores Redondo. „Ich kann dazu beitragen, dass Menschen auch an ihrem Ort bleiben können und sich nicht woanders Arbeit suchen müssen.“ Hoch oberhalb des Flusses liegt eine Bodega. „Heroica“ hat Dolores Redondo ihr fiktives Weingut im Roman genannt, als Anlehnung an die heldenhafte Arbeit, die hier in seit Jahrhunderten kaum veränderter Form verrichtet wird. Das wahre Vorbild für das Weingut heißt Via Romana Adegas e Viñedos.
Der Wein, den es zuerst im Buch gab
Hier hat sich die Autorin vor Jahren inkognito als interessierte Touristin kundig gemacht, inzwischen ist sie eine Freundin des Besitzers Juan Luis Méndez geworden. In der Bodega holen sich die Pilger ihren Stempel für das Pilgerbuch. „Jeder dritte Besucher, der zu uns kommt, will aber gar nicht nach Santiago“, sagt Juan Luis Méndez, „er kommt wegen Dolores’ Roman“.
In einer Vitrine hat er seine Spitzenweine ausgestellt und die ausländischen Ausgaben von „Alles was ich dir geben will“. Gerade arbeitet Luis Méndez mit seinem Önologen an einem ganz besonderen Wein, den es ab Herbst geben soll: „Heroica“, der Wein, der dann den Weg aus dem Buch in die Wirklichkeit genommen hat. Da soll noch einer behaupten, Literatur habe keine Wirkung.
Dolores Redondo: „Alles was ich dir geben will“ (btb, 605 Seiten, 22 Euro)