Neckerei statt Passion
Salzburger Festspiele: Gounods „Roméo et Juliette“ mit Villazón und Machaidze in den Hauptrollen lebte vor allem von der Musik des französisch-kanadischen Dirigenten Yannick Nézet-Séguin. Er ließ aufspielen, als handele es sich um Wagners „Tristan".
Anna Netrebko und Rolando Villazón, das Traumpaar der Salzburger Festspiel-„Traviata" im Jahr 2005, in Gounods „Roméo et Juliette" – das wäre es gewesen! Doch bekanntlich ist die russische Diva hochschwanger und der mexikanische Tenor nach krisenbedingter Auszeit auch nicht mehr das, was er vor ein paar Jahren noch war. In der Felsenreitschule sang Villazón den Romeo mit glanzloser Stimme, wenig prägnant, intonierte ungenau und begnügte sich mit Andeutungen, wo kraftvolle Dramatik vonnöten wäre.
Zu allem Unglück hatte US-Muical-Regisseur Bartlett Sher seine beiden Protagonisten in der ersten halben Stunde zu jenen neckischen Gesten verdonnert, die kindlich wirken sollten, aber nur unfreiwillig komisch waren. Netrebko-Ersatz Nino Machaidze bewegte sich nicht nur ungelenk, sie führte auch einen ziemlich uninteressanten, flackernden Sopran ins Feld, mit dem sie sich ohne allzu viel Ausdruck über die Klippen hangelte.
Ein paar Requisiten genügten
Regisseur und Bühnenbildner (Michael Yeargan) hatten rasch erkannt, dass diese frömmelnde Shakespeare-Adaption eines französischen Wagner-Fans nur verlieren kann, wenn man der Versuchung nachgibt, sie in pompös-pathetische Bilder zu packen. Ein paar Requisiten genügten. Mitglieder des Chores verteilten sich je nach Situation im Raum oder tummelten sich in den Arkaden. Als stille Beobachter durften sie die Botschaft vernehmen, dass nur bedingungslose Liebe die Zwietracht einer zerrütteten Gesellschaft heilen könne.
Einmal allerdings ließ sich auch die prächtig gekleidete (Kostüme: Catherine Zuber) und vom Wiener Staatsopernchor stimmgewaltig präsentierte Veroneser Society aus der Lethargie locken: Nachdem Mercutio und Tybalt im Duell getötet wurden, komponierte Gounod – zum Finale des dritten Akts – ein hinreißendes Ensemble („Ah! Jour de deuil"). Endlich durfte Betroffenheit gezeigt werden.
Verlaß auf die Musik
Regisseur Sher konnte sich in den vielen heiklen Momenten der Musik auf den französisch-kanadischen Dirigenten Yannick Nézet-Séguin verlassen: ein geradezu sensationelles Salzburg-Debüt. Gounod streifte ein ums andere Mal in seinem Werk die Grenzen der Trivialität. Dirigent Nézet-Séguin kehrte nichts unter den Teppich. Im Gegenteil: Er ließ das prächtig aufgelegte Mozarteum-Orchester mit einem Ernst und einer Emphase musizieren, als handele es sich um Wagners „Tristan".
Das Ergebnis gab ihm Recht. Die vier Liebesduette, die – eine Rarität – wesentliche Akzente setzen, waren perfekt vorbreitet. Dass Nino Machaidze und Rolando Villazón mehr damit zu tun hatten, die eigenen Stimmprobleme zu kaschieren, als sich den von Dirigent und Orchester liebevoll ausgebreiteten Kuschelklängen hinzugeben, war ein Wermutstropfen – überflüssig, aber offensichtlich nicht zu verhindern.
Festspiel-Glanz mit Einschränkungen: Mercutios „Ballade de la Reine Mab" wurde von Russell Braun virtuos serviert. Mikhail Petrenko (Frère Laurent) durfte sich – was Stilgefühl und Stimm-Timbre betraf – als Sieger des Abends fühlen. Cora Burggraaf (Stéphano) könnte eine Entdeckung sein. Wer große Oper mag, ohne eitlen Inszenierungs-Schnickschnack, der kam auf seine Kosten. Und ein wenig Melancholie über das nicht stattgefundene Comeback des Traumpaares Netrebko-Villazón durfte auch sein: Mit beiden in Topform wäre es ein Salzburg-Highlight geworden.
Volker Boser
- Themen:
- Anna Netrebko
- Salzburger Festspiele