Näher an die Wahrheit
Der ungarische Komponist und Dirigent entdeckt in der Neuen Musik die Komik. Die Theaterakademie zeigt seine Oper "Drei Schwestern", in Kürze wird die "Tragödie des Teufels" im Nationaltheater uraufgeführt
Seine 1998 in Lyon uraufgeführten "Drei Schwestern" zählen mit weltweit über 100 Vorstellungen zu den erfolgreichsten modernen Opern. Ab heute ist das Werk im Prinzregententheater zu sehen. Derzeit probt Peter Eötvös seine neue Oper "Die Tragödie des Teufels". Sie kommt am 22. Februar im Nationaltheater heraus.
AZ: Herr Eötvös, wie schreibt man eine erfolgreiche moderne Oper?
PETER EÖTVÖS: Das lässt sich nicht planen. "Drei Schwestern" waren meine erste Oper. Um den Theaterbetrieb kennenzulernen, habe ich in Lyon Mozarts "Don Giovanni" dirigiert und mich mit der Tradition der Gattung beschäftigt.
Was haben Sie gelernt?
Wiederholungen sind wichtig, Der Hörer liebt es, bestimmte Melodien wiederzuerkennen, die er schon aus der Ouvertüre kennt. Daher habe ich den "Drei Schwestern" eine durchsichtige Struktur gegeben. Davon abgesehen hat das Werk eine schöne, jeden ansprechende Melancholie.
Ihre Oper ist die erste erfolgreiche Tschechow-Vertonung.
Claus H. Henneberg, mein ursprünglicher Textdichter, hat das Stück nur verdichtet. Damit konnte ich nichts anfangen. Daraufhin habe ich mit meiner Frau den Text in drei Sequenzen gegliedert, die jeweils eine Figur in den Mittelpunkt stellt.
Warum haben Sie das Orchester geteilt?
Tschechows Theater ist auch in Gefühlsausbrüchen und im Schmerz leise. Um die Sänger nicht zuzudecken, sitzt im Graben ein kleines Ensemble. Aber ich fürchtete, die Hörer zu ermüden. Daher tritt, wenn es emotional notwendig wird, ein grosses Orchester hinzu, das auf der Bühne sitzt.
Gibt es dazu Vorbilder aus der Tradition?
Mich hat sehr beeindruckt, wie im Bayreuther Festspielhaus der Klang der hohen Streicher im "Lohengrin"-Vorspiel vom Plafond über dem Orchester reflektiert wird. Er kommt wie vom Himmel. Wenn dann der Vorhang aufgeht, kommt eine räumliche Dimension hinzu. In ähnlicher Weise ist am Beginn der "Drei Schwestern" ein Akkordeon von oben zu hören, dessen Klang für mich Russland verkörpert.
Auch in der "Tragödie des Teufels" ist das Orchester geteilt.
Das ist mir fast ein wenig peinlich, weil meine übrigen Opern ohne diesen Effekt auskommen. Aber ich wollte eine grösstmögliche Verständlichkeit des Texts von Albert Ostermaier, den ich sehr poetisch finde. Das grosse Orchester auf der Bühne sorgt für die Klangmasse, ein Streichquintett, Klavier, Schlagzeuger und ein Akkordeon für einen Schimmer.
Wie kamen Sie mit Ostermaier zusammen?
Nikolaus Bachler hat mir die "Tragödie des Menschen" vorgeschlagen. Wegen der vielen Rollen hatte ich auch schon an dieses 1861 vollendete Drama von Imre Madách gedacht, weil Kent Nagano ursprünglich eine Choroper von mir wollte. Ich habe Ostermaier als Bearbeiter vorgeschlagen, weil mich die starke Sprache seiner Stücke beeindruckt hat.
Wie verhält sich Ostermeiers "Tragödie des Teufels" zu Madáchs Weltendrama?
Bei Madách löst Evas Schwangerschaft die Geschichte der Menschheit aus. Wir sind mit Hilfe althebräischer Schöpfungsmythen ein Stück zurückgegangen: Lilith, die erste Gefährtin, kehrt zurück. Sie besteht auf ihrer Liebe. Als dämonische Lucy wird sie zur Schlüsselfigur.
Im Unterschied zum Bierernst der Neuen Musik nennen Sie die "Tragödie des Teufels" eine "utopisch komische Oper".
Ich bin nie ernst. Alle meine Opern haben komische Züge. Mit Komödien kommt man der menschlichen Wahrheit näher. Tschechow mochte es gar nicht, wenn seine Stücke zu ernst gespielt wurden. Ostermaiers Text ist komödienhaft, meine Musik enthält teilweise Cabaret-Elemente.
Will man als Dirigent der eigenen Musik nicht ständig alles wieder umkomponieren?
Ich habe bei den Proben nur einige Schreibfehler korrigiert. Nach einiger Zeit stellt sich bei mir eine Distanz zur eigenen Musik ein. Ich bin nur noch Dirigent.
Was kann man gegen die weit verbreitete Abneigung gegen Neue Musik tun?
In den letzten 20 Jahren hat sich viel getan: Überall, wo regelmässig neue Werke herauskommen, in Brüssel oder Lyon etwa, wird die Offenheit des Publikums grösser. Auch "La Boheme" und "Carmen" wurden irgendwann zum ersten Mal gespielt.
Robert Braunmüller
Prinzregententheater, heute, 17., 19., 21. Feb., 19.30 Uhr, Karten Tel. 2185 2899