Nacho Duatos „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“

Weihnachtspremiere im Bayerischen Staatsballett : „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“.
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Weihnachtspremiere im Bayerischen Staatsballett : „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“.

Darf man das? Bach als Vehikel für eine Tanz-Show benutzen, deren tieferer Sinn sich weitgehend im Vokabular kraftvoll-virtuoser Effekte erschöpft? „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ nennt der spanische Choreograph sein Stück, das jetzt als Weihnachtspremiere vom Bayerischen Staatsballett präsentiert wurde.

Der Titel verrät eine Menge: die kurzweilige Vielfältigkeit des ersten Teils macht süchtig. Stille und Ernst nach der Pause zwingen zur Konzentration. Immer dann, wenn sich Nacho Duato unbefangen der Musik hingibt, gelingen Momente voller Spannung und Eindringlichkeit. Doch später, wenn der alternde Komponist (Marlon Dino) einer maskierten Todes-Dame (Silvia Confalonieri) begegnet, die ihm den Cello-Bogen zerbricht und mit mechanisch-puppenhaften Bewegungen die geliebte Musik streitig machen will, hat auch Duato genug von heiterer Unterhaltung.

Ausschnitte aus der „Kunst der Fuge“ künden vom nahenden Tod. Während die Tänzer im Bühnenhintergrund mit gemessenen Schritten ein Gerüst besteigen, ist noch einmal der Beginn der Goldberg-Variationen zu hören – und das Summen des leise mitsingenden Pianisten Glenn Gould. Bach liegt regungslos am Boden. Seine Musik aber lebt.

Zehn Jahre nach der Uraufführung in Weimar hat Duatos Choreographie kaum etwas von ihrem Glanz verloren. Vor allem der Beginn verzaubert immer wieder durch die Fülle von Ideen, mit denen Duato die Musik des Thomaskantors in den Griff bekommt. Wie ein Dirigent reißt der mit einer barocken Perücke bekleidete Komponist die Tänzer im schwarzen Turndress aus ihrer Bewegungsstarre. Später schmiegt sich seine Muse (Giuliana Bottino) an ihn und verwandelt sich in ein Violoncello.

Noten verwandeln sich in Tanz. Ein Pas de deux zeigt, wie Bach seine Musik gestaltet. Tänzer werden zur Partitur. Immer ist zu spüren, wie ernst es Nacho Duato damit meint, wenn er sagt, dass alle seine Inspirationen aus der Musik kommen. Und doch: wenn Männer in Mönchskutten zu dunklen Orgelklängen über die Bühne wirbeln und ihre lila gefütterten Röcke effektvoll nach außen drehen, dann hat das nur wenig mit Bach zu tun - umso mehr aber mit dem spanischen Katholiken Nacho Duarto.

Die Einwände bleiben. Etwa, dass die Musikauswahl ziemlich willkürlich erscheint. Messen und Passionen werden ausgespart. Kammermusik, Orchesterwerke, Ausschnitte aus Kantaten, insgesamt 21 (!) Schnipsel, kommen im Nationaltheater vom Band und stellen immer wieder den Stand heutiger Wiedergabe-Technik auf ärgerliche Weise in Frage.

Nacho Duato versucht sein Beharren auf Tonkonserven damit zu begründen, dass er die besten Musiker haben wollte, Yehudi Menuhin, Anner Bylsma, Glenn Gould. Dass CDs billiger sind als Live-Musik, vor allem dann, wenn man mit diesem Stück und der eigenen Compania Nacional de Danza seit zehn Jahren durch die Welt tourt, wäre auch eine glaubhafte Begründung.

So bekommt man an diesem Abend viel Bach zu hören, lautstark vergröbert aus zweiter Hand, doch dafür entschädigen Choreographie und Leistung des Ensembles. Aus der Bühnenkonstruktion des irakischen Architekten Jaafar Chalabi lässt sich mit einiger Mühe ein Notensystem erkennen. Man darf sie ruhig als karg bezeichnen, aber Glamour hat Bachs Musik auch gar nicht nötig. Volker Boser

Volker Boser

Wieder am 8. und 11.Januar 2010. Karten unter der Telefonnummer: 21 85 19 20

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