Musikantenstadl, klassisch
Rolando Villazón und Netrebko-Ersatz Renée Fleming reißen im Passionstheater Oberammergau das Publikum zum Mitklatschen und Mitsingen hin.
Weil Anna Netrebko von ihrem derzeitigen Lebensgefährten, dem Bass-Bariton Erwin Schrott (36) aus Uruguay, ein Baby erwartet und alle Sommertermine gestrichen hat, musste für das Galakonzert im Passionstheater Oberammergau Ersatz gefunden werden. US-Sopranistin Renée Fleming sprang ein, trotzte tapfer den Clownerien des von einer Stimmkrise auferstandenen Rolando Villazón – und durfte sich am Ende als Siegerin fühlen.
Nahezu 4000 Besucher waren gekommen. Wer nicht nur Trapezakte, sondern auch ein wenig Gesangskunst erleben wollte, der hatte Superstar Anna Netrebko bald vergessen. Schon zu Beginn ereigneten sich wahre Wunder. Der lange, schöne Seufzer, mit dem Renée Fleming frei schwebend, ganz ohne Begleitung die Arie „Oh sleep, why dost thou leave me“ aus Händels „Semele“ begann. zeigte, dass die US- Sopranistin nicht gewillt war, sämtlichen stilistischen Ernst dem Event-Charakter des Abends zu opfern.
Ganz anders Rolando Villazón: Er begann mit Händels „Ombra mai fu“, und wer zufällig den Komponisten nicht kannte, durfte ihn in der Nähe des italienischen Verismo vermuten. Vor Puccinis „Recondita armonia“ („Tosca“) machte das Publikum dem angehimmelten Tenor kräftig Mut: „Viva Rolando!“ schrie eine Dame, was Villazón zu dem ungalanten Rückruf veranlasste: „Danke, Mama!“ Für Stimmung war gesorgt. Und dann Nase zu und durch: Man spürte förmlich, wie der Sänger Anlauf nahm und mit Kraft rettete, was er durch Ausdruck derzeit nicht immer erreicht.
Die Stimme hat in den höheren Lagen an Glanz verloren. Spitzentöne werden auf ein Minimum reduziert. Doch das Bedenklichste ist, dass Villazón noch immer seine Mittel nicht allzu ökonomisch einteilt. Das aber ist für die Dauer einer Karriere unerlässlich.
Ein ungleiches Paar. Die coole amerikanische Lady als Pennsylvania und ein feuriger Mexikaner, der stets erpicht ist auf Tuchfühlung – das bescherte im Liebesduett aus Puccinis „La Bohème“ eine Menge komischer Momente. Die Auswahl aus Jules Massenets „Manon“ verwandelte dank Villazóns überschäumender Theatralik das mikro-verkabelte Podium zur glamourösen Opernbühne. Flemings Manon-„Gavotte“ war eine Meisterleistung an perfekt dosierter Koketterie und Stimm-Akrobatik. Danach begann der Zirkus.
Gershwins „Cuban Ouvertüre“ brachte den Dirigenten Emmanuel Villaume und das Münchner Rundfunkorchester ins Schwitzen. Renée Fleming tauchte den Judy-Garland-Song „Over the Rainbow" in Parfüm und fordert mit Erfolg das Publikum zum Mitsingen auf („I Could Have Danced All Night“). Villazón zeigte als „Mann von La Mancha“ und in einer hinreißenden Zarzuela-Arie, dass mit ihm noch immer zu rechnen ist, was wir uns alle dringend wünschen. Dann gab er den Weg frei für das endgültige Finale. Das Trinklied aus Verdis „Traviata“ zum Mitsingen und zum Mitklatschen – effektvolles Ende eines klassischen Musikantenstadls.
Volker Boser
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