Woran es bei Thielemann hakte: Wolfgang Berg über seine 35 Jahre bei den Münchner Philharmonikern
Er ist das letzte Mitglied der Bratschengruppe, das noch den legendären Chefdirigenten Sergiu Celibidache erlebt hat. Am Samstag verabschiedete sich Wolfgang Berg nach über 35 Jahren von den Münchner Philharmonikern. Er war lange Zeit einer der drei vom Orchester gewählten Vorstände und hat das Odeon Jugendsinfonieorchester mitbegründet, das seit Herbst 2010 als Patenorchester eng mit den Münchner Philharmonikern zusammenarbeitet.
AZ: Herr Berg, mit welchen Gefühlen verlassen Sie die Philharmoniker?
WOLFGANG BERG: Entspannt und glücklich. Mein Gefühl nach diesen unglaublich spannenden, abwechslungsreichen und prägenden Jahren mit diesem Orchester ist heute, dass ich eine Zeitreise von der analogen in die digitale Welt erlebt habe. In meinen ersten Jahren stand man im Gasteig oder bei einer Tournee noch Schlange vor einer Telefonzelle, um mit der Familie in Kontakt zu bleiben. Und heute leben wir in einer total vernetzten und digitalen Welt, was für eine Veränderung! Und in all den Jahren habe ich natürlich eine Vielzahl an unterschiedlichsten Solisten und Dirigenten erlebt und gehe nun mit dem Gefühl, in einem besonderen Beruf gearbeitet zu haben, in dem kein Tag dem anderen gleicht.
Wie kamen Sie zur Bratsche und zu den Philharmonikern?
Ich habe mit der Geige angefangen. Mein Vater war Musiklehrer. Er und meine beiden Schwestern haben Geige und Cello gespielt. Als ich 14 war, brauchten wir für eine Streichquartett Besetzung noch eine Bratsche. Ich war groß und daher habe ich auf das etwas größere und tiefere Instrument gewechselt. Eine Zeitlang spielte ich noch Geige und Bratsche nebeneinander, dann bin ich bei der Viola geblieben.
Wie verlief Ihr Weg aus Eifel nach München?
Ich habe nach meinem Abitur und der Bundeswehrzeit zunächst an der Kölner Musikhochschule bei Rainer Moog und später bei Hariolf Schlichtig in Aachen studiert. Während des Studiums war ich Solobratscher des European Community Youth Orchestra unter Claudio Abbado und einigen anderen großen Dirigenten. Dort wurde mir klar: Ich will in ein gutes Orchester. Und ich hatte schon früh ein Faible für Sergiu Celibidache, den damaligen Chefdirigenten der Philharmoniker.

Was haben Sie an ihm geschätzt?
Seine starke Persönlichkeit und seine Art, Musik zu machen. Und er mochte mich: Als bei meinem ersten Probespiel die Stelle nicht besetzt wurde, hat er mich aufgefordert, es ein zweites Mal zu versuchen. Danke Celi! Dann habe ich in seinen letzten sieben Jahren die Zeit der großen Tourneen durch ganz Europa, nach Japan, Spanien und Südamerika erlebt. Das war für mich als junger Musiker magisch und hat mich für immer im positiven Sinne an dieses Orchester gebunden.
Was war das Besondere an Sergiu Celibidache?
Er hat sehr intensiv geprobt und sich für heutige Verhältnisse unglaublich viel Zeit genommen. Seine ganz große Stärke waren die Steigerungen in den Symphonien von Anton Bruckner. Ich bekomme heute noch eine Gänsehaut, wenn ich an den langsamen Satz der Symphonie Nr. 8 denke. Bei Brahms hat er sehr großen Wert auf die Mittelstimmen gelegt. Das hatte einen ganz speziellen Einfluss auf den Gesamtklang des Orchesters. Ich fand nicht alles toll - etwa seinen Mendelssohn - aber Tschaikowsky habe ich durch ihn erst richtig lieben gelernt. Er betonte bei dieser Musik nicht nur die Lautstärke oder Schnelligkeit. Aufgrund seiner langsamen Tempi bekamen die Phrasierungen eine unglaubliche Spannung. Die Schönheit und der Charakter der Musik kam so viel stärker zur Geltung.
Auf Celi folgte James Levine. Dann kam 2004 Christian Thielemann. Warum endete das 2009 im Streit?
Künstlerisch waren das tolle Jahre. Da hatte ich nie ein Problem mit ihm. Er hat das Orchester beim „Rosenkavalier“ in Baden-Baden wie einen Ferrari gesteuert und im Griff gehabt. Das war für mich mit eines der spannendsten Projekte meiner gesamten Zeit bei den Philharmonikern. Schwierig war, dass viele Gastdirigenten nicht einfach auch „sein“ Repertoire - also Beethoven, Brahms, Bruckner, Strauss - dirigieren konnten. Außerdem gab es mit der Zeit zunehmend Meinungsverschiedenheiten, etwa dass er „Klassik am Odeonsplatz“ wegen Kollisionen mit Bayreuth nicht dirigieren wollte. Und wir waren auch nicht besonders begeistert, dass er alle Beethoven-Symphonien mit den Wiener Philharmonikern aufgenommen hat und nicht mit uns.

Nach Thielemann kam Lorin Maazel, danach Valery Gergiev - auch kein unumstrittener Dirigent.
Ich habe unter Maazel zu Beginn der Nullerjahre oft aushilfsweise gespielt, als er Chef beim BR-Symphonieorchester war. Bei uns war er schon etwas altersmilde. Seine Schlagtechnik und seine Kenntnis der Musik aber waren bewundernswert. Unter Gergiev musste man auf der Stuhlkante sitzen. Seine teilweise etwas nachlässige Probenarbeit und sein sehr spezieller Schlag haben einen wach gehalten. Und das war womöglich sein Prinzip. Die Konzerte waren auf diese Weise immer spannend.

Welche Dirigenten schätzen Sie?
Schon hauptsächlich die Alten. Neben Celi auch Günter Wand und nicht zu vergessen natürlich unseren Ehrendirigenten Zubin Mehta, mit dem ich viele wunderbare Konzerte erlebt habe. Ich möchte keinen der fünf Chefs in meiner Zeit missen, auch James Levine nicht. Unter den Jüngeren schätze ich Andris Nelsons, Klaus Mäkela, Daniele Gatti, Daniel Harding oder Gustavo Dudamel sehr.

Wie überzeugt Sie ein Dirigent?
Ein Dirigent muss Energie ausstrahlen und herausarbeiten bei den Proben, was mit dem Klang und den Phrasierungen passieren soll. Reine Routine motiviert mich nach so vielen Jahren eher weniger.

Wie sehen Sie Lahav Shani?
Ich bin sehr froh, dass ich ihn noch mit einigen Projekten und Konzerten erleben konnte jetzt am Ende meiner Philharmoniker Zeit. Gerade die Symphonie Nr. 2 von Brahms letzte Woche oder die Sechste von Mahler mit ihm vor einigen Wochen zusammen mit dem Israel Philharmonic Orchestra waren eine große Freude und ganz besonders. Ich wünsche ihm als zukünftigen Chefdirigenten und dem Orchester alles Gute für die kommenden Jahre.
Warum haben Sie 2006 das Odeon-Jugendsinfonieorchester mitbegründet?
Zu meiner Schüler- und Studienzeit gab es keine Möglichkeit, gemeinsam mit Profis zu spielen. Ich hatte seit der Gründung des Odeon-Jugendsinfonieorchesters die Idee, dieses im Rahmen unserer "Spielfeld Klassik"-Education-Projekte an die Philharmoniker anzubinden. Dafür musste das Jugendorchester aber erst mal langsam zusammenwachsen. Seit der offiziellen Patenschaft im Jahre 2010 sind Auftritte in das Programm der Jugendkonzerte integriert. Und es macht mir seitdem großen Spaß, diese Entwicklung zu begleiten. Überhaupt war meine langjährige Education-Arbeit im Orchester mit vielen verschiedenen Projekten für mich eine große Bereicherung, die ich auf keinen Fall missen möchte.

Wie nehmen Sie die Gegenwart der Philharmoniker wahr?
Wir bringen - etwa durch das U-30-Abo und durch dezidierte Programmschwerpunkte - viel mehr jüngere Leute in die Konzerte, die früher nicht gekommen sind. Auch die Attraktivität der Isarphilharmonie spielt eine Rolle: Ich sehe, wie viele Besucher schon früh hier sind und einfach vor dem Saal in der Halle E sitzen oder das Restaurant besuchen. Ich spiele in dem neuen Saal der Isarphilharmonie auch viel lieber, weil man hier viel differenzierter musizieren kann und die räumliche Nähe zum Publikum beim Spielen motiviert. Und dieser enge Kontakt muss durch die Sanierung auch im neu renovierten Gasteig unbedingt hergestellt werden.

Ihre Kollegen vom BR-Symphonieorchester sehen das leider nicht so.
Es war eine verpasste Chance in meiner Zeit als Orchestervorstand, dass keine Lösung für eine gleichberechtigte Nutzung eines gemeinsamen neuen Saales im Gasteig durch die Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem Freistaat zustande gekommen ist.
Was machen Sie im Ruhestand?
Unterrichten, Kammermusik mit lieben Kollegen, außerdem geben wir seit mehreren Jahren in Zusammenarbeit mit der VHS München einen Kammermusikkurs für Laienensembles am Starnberger See. Daneben werde ich weiterhin regelmäßig Stimm- und Streicherproben bei verschiedenen Münchner Amateurorchestern betreuen. Und ich freue mich natürlich, nun mehr Zeit für meinem Garten und meinen kleinen Enkel zu haben und ganz besonders auf ausgedehntere Reisen mit meiner aus Neuseeland stammenden Frau.
Wolfgang Berg spielt am Samstag, dem 14. Juni zum letzten Mal um 19 Uhr im Konzert der Münchner Philharmoniker unter dem Dirigenten Andris Nelsons