Wo die Hornisten keine roten Köpfe bekommen
Hamburg/München - Der Hornist Christian Loferer will eben erklären, wie sich für ihn die Elbphilharmonie anfühlt. Da durcheilt Kirill Petrenko mit dem Rollkoffer den Besprechungsraum zwischen dem Zuschauer- und Bühnenbereich. "Geben Sie doch in Zukunft für mich alle angefragten Interviews", meint er lachend und verschwindet durch die Tür.
Der gegenwärtige Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper und künftige Chef der Berliner Philharmoniker konzentriert sich auf seine Arbeit und gibt dazu keine öffentlichen Erklärungen ab. Wie Petrenko seinen ersten Auftritt im spektakulären Konzertsaalneubau in Hamburg wahrgenommen hat, bleibt sein Geheimnis. Die Dirigenten der beiden anderen Münchner Groß-Orchester waren da nach ihren ersten Hamburg-Gastspielen gesprächiger. "Müssen wir analysieren", meinte Mariss Jansons nach dem dortigen Debüt des BR-Symphonieorchesters mit Hinblick auf den geplanten Neubau im Werksviertel. "Ein großartiger Saal für großartige Orchester", sagte Valery Gergiev zweideutig. Denn das unglaublich transparente Akustik-Design von Yasuhisa Toyota legt Unschärfen im Zusammenspiel von Musikern gnadenlos offen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel beim ausverkauften Konzert dabei
Solche Schwächen kennt das Bayerische Staatsorchester nicht. Auf dem Weg in die New Yorker Carnegie Hall, wo es auch einen konzertanten "Rosenkavalier" geben wird, gastierte das Orchester der Bayerischen Staatsoper mit dem Programm der Musikalischen Akademie der vergangenen Woche. Das Konzert war ausverkauft, und auch die Bundeskanzlerin hörte sich mit ihrer Mutter das Doppelkonzert von Johannes Brahms mit Julia Fischer und Daniel Müller-Schott sowie die selten gespielte Manfred-Symphonie von Peter Tschaikowsky an.
Eine etwas untypische Visitenkarte für ein Orchester, das traditionell eher mit deutscher Spätromantik von Wagner bis Richard Strauss in Verbindung gebracht wird. Da widerspricht Loferer: "Als Opernorchester sind wir sehr breit aufgestellt. Unsere Stärke ist die Flexibilität, die wir bei einem Stück wie ,Manfred’ ausspielen können." Da wird dem von seinen Kollegen zum Orchestervertreter gewählten Hornisten nach diesem Konzert niemand ernstlich widersprechen wollen. Die Aufführung im Münchner Nationaltheater war schon perfekt. In der Elbphilharmonie kam eine Gelöstheit dazu.
"Mir war schon beim ersten Takt des Brahms-Konzerts klar, dass der Abend etwas besonderes wird", sagt Loferer. "Wir haben gemeinsam geatmet und an einem Strang gezogen. Petrenko hat stärker losgelassen und an einzelnen Stellen nur die Arme gehoben und gar nicht mehr dirigiert."
Elbphilharmonie: Musiker des Staatsorchesters von Akustik begeistert
Aus solchen Momenten kontrollierter Freiheit und Risikofreude erwächst in Konzerten das Besondere. Bei einem Auswärts-Gastspiel, wo sich die Musiker trotz gut einstündiger Anspielprobe vor dem Konzert spontan auf den anderen Saal einstellen müssen, ergibt sich das bisweilen leichter als im gewohnten Spielort. "Die halbkreisförmige Aufstellung des Orchesters sorgt in der Elbphilharmonie für einen besseren Kontakt mit den Kollegen", erklärt Loferer. "Der Raum ist dank der Weinbergform intimer. Man muss, anders als im Nationaltheater, nicht um Präsenz kämpfen. Wir Hornisten kriegen hier keine roten Köpfe."
Im Unterschied zu ihren teilweise sehr kritischen Kollegen aus den anderen Münchner Orchestern waren die Musiker des Staatsorchesters von der transparenten Akustik der Elbphilharmonie durchweg begeistert. Das kann daran liegen, dass sie im Unterschied zu den Konzertorchestern meistens "in der Schachtel" spielen, wie ein Musiker sagte: im Graben des Nationaltheaters.
Auch die Anspielprobe vor dem Konzert war bei Petrenko anders als bei seinen Kollegen. Gergiev besprach sich mit dem Akustiker Toyota und setzte die Kontrabässe um. Wie Mariss Jansons verließ er das Pult und hörte sich das Orchester aus dem Saal an. Petrenko blieb dagegen am Pult und feilte mehr akribisch an Übergängen als am Klang. Die Geigerin Julia Fischer, mit Daniel Müller-Schott Solistin im Brahms-Konzert, findet das nicht ungewöhnlich: "Mit Publikum klingt der Saal ohnehin anders."
Das bestätigt auch Loferer: "Ich fand die Elbphilharmonie bei der Probe etwas betont in den Höhen, vielleicht sogar plärrig. Bei vollem Saal war das verschwunden." Im Vergleich zum Münchner Konzert am Montag bekam Brahms in Hamburg noch mehr eherne Größe. Der Tschaikowsky hatte echte Dramatik, die den ehemaligen Staatsopern-Intendanten Chef Sir Peter Jonas nach dem Konzert an Aufnahmen von Jewgeni Mrawinsky oder Igor Markewitch erinnerte. Jonas schätzt dieses Stück als Meisterwerk der Schauerromantik sehr. Und er weiß auch, warum es so selten gespielt wird: "Weil es für Streicher sehr schwer ist." Davon war bei den Konzerten des Staatsorchesters nicht das Geringste zu spüren. Und man wird es auch nie anders hören wollen. Und schon gar nicht weniger perfekt.