William Youn beendet seine Gesamtaufnahme bei Oehms
Man muss eine ähnliche Seele haben, um sie zu verstehen.“ Das sagte William Youn vor sieben Jahren im Gespräch über Wolfgang Amadeus Mozart und Frédéric Chopin. Seinerzeit wusste der in München lebende Pianist aus Südkorea noch nicht, dass er sich schon bald zu einem führenden Mozart-und Chopin-Exegeten mausern würde. Er hat sie eben: die „ähnliche Seele“.
Dafür steht die Gesamtaufnahme der Klaviersonaten Mozarts, die Youn beim Münchner Label Oehms Classics realisiert hat. Vor vier Jahren startete dieser Zyklus, auf Grundlage der neuesten Quellenforschung. So hat Youn, ein Schüler von Karl-Heinz Kämmerling und enger Duo-Partner des Bratschisten Nils Mönkemeyer, für dieses Mammut-Projekt auch die Ersteinspielung der Neuedition der berühmten Klaviersonate KV 331 „Alla Turca“ realisiert. Sie liegt im Henle-Verlag vor und wurde nach einem spektakulären Fund notwendig.
Auf dem neuesten Stand
Im September 2014 war in der Ungarischen Nationalbibliothek Budapest ein Autograph von Mozart gefunden worden. Diese Budapester Handschrift reicht von der dritten Variation im Kopfsatz bis zum Menuett-Trio des zweiten Satzes. Manche Unklarheiten konnten zweifelsfrei geklärt werden. Jetzt ist die fünfte und letzte Folge des Mozart-Projekts erschienen. Für sie hat Youn die Klaviersonaten KV 284, 309 und 457 sowie die Fantasie c-moll KV 475 eingespielt.
Was Youn erneut triumphieren lässt, ist seine stilsichere Intuition. Seinem Spiel hört man an, dass er über den aktuellen Stand der Mozart-Interpretation genauso informiert ist wie über das Rezeptionserbe. Ob Artikulation und Phrasierung oder der Umgang mit dem Pedal: Youn gelingt es mühelos, die Fragen des Originalklangs auf dem modernen Flügel zu reflektieren. Scheinbar konträre Haltungen werden sinnstiftend vereint. Daraus erwächst eine originär eigene, zeitentrückte Sicht auf Werke, die eigentlich zahllos eingespielt sind.
Ohne Überzeichnung
Statt Effekte und Kontraste hysterisch zu überzeichnen, wie es heute manche Originalklang-Experten gerne tun, überdies mit akrobatisch rasenden Tempi, setzt Youn wohltuend auf uneitle Gelassenheit. Gleichzeitig verfällt er nicht einem romantisierenden Legato-Fetisch, wie es manche Klavier-Kaiser der alten Schule predigten. Von diesem Profil profitiert nicht zuletzt die jetzt eingespielte „Dürnitz-Sonata“ KV 284. Mozart hatte sie ursprünglich für Thaddäus Wolfgang Dürnitz komponiert, dem kurfürstlich-bayerischen Kämmerer.
Im Januar 1775 entstanden, bildet die Uraufführung von Mozarts Oper „La finta giardinera“ in München einen direkten Kontext. Bereits im Kopfsatz fällt eine orchestrale Dichte auf, und manche brillante Klangwirkungen scheinen unmittelbar der Bühne entsprungen. Youn verlebendigt die dramatischen Wirkungen, ohne auf die Tube zu drücken. Dagegen schafft es Youn im Mittelsatz der Sonate KV 309, den französischen Clavecinisten-Stil bespielhaft ins Heute zu übertragen: mit schlanker Ornamentik, luzidem Lyrismus und subtilem Humor.
Bald Schubert?
In den beiden c-moll-Werken KV 457 und 475 gähnt wiederum nirgends das Klischee einer bedeutungsschwangeren Tragik. Youn erschließt sich einen schier unerschöpflichen Reichtum an Ausdrucks- und Gefühlswelten: ganz natürlich und ehrlich, ohne jedwede Selbstdarstellung. Eine derart vollkommene Harmonie von Geist und Seele erlebt man nur ganz selten.
An Youns Mozart werden sich künftige Pianisten-Generationen messen lassen müssen, und es gibt bereits weitere Pläne: Als nächstes könnte eine Gesamtaufnahme der Klaviersonaten von Franz Schubert folgen. Einen ersten Vorgeschmack bietet Youn am 19. August im Augustiner-Chorherrenstift auf der Herreninsel im Chiemsee: Bei einem Solo-Rezital im schönen Rahmen der „InselKonzerte“ gestaltet Youn die späten Klaviersonaten D 958 und D 960.
CD: William Youn plays Mozart Sonatas, Vol. 5, bei Oehms Classics. Konzert am19. August, Augustiner-Chorherrenstift auf der Herreninsel im Chiemsee, 17 Uhr. Karten unter % 089 54818181 oder www.chiemsee-kultur.de
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