Wenn Verdi richtig rockt

Mit „Simon Boccanegra“ hat am Montag ein düsteres Meisterwerk Staatsopern-Premiere. Die AZ sprach mit Bariton Zeljko Lucic  
Christa Sigg |
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Mit „Simon Boccanegra“ hat am Montag ein düsteres Meisterwerk Staatsopern-Premiere. Die AZ sprach mit Bariton Zeljko Lucic.

Sein Organ ist schon von Weitem zu hören. Zwei Stunden bis zur nächsten Probe – Zeljko Lucic hat jetzt schon seinen Auftritt, das Temperament geht mit ihm durch. Dabei sollte der Bariton möglichst wenig sprechen, am Montag singt er in „Simon Boccanegra“ die Titelpartie. Aber wenn’s um Verdi geht, ist er nicht mehr zu bremsen.

AZ: Herr Lucic, mit „Simon Boccanegra“ ging es Verdi auch um die Einheit Italiens. Sind Sie ein politischer Mensch?

ZELJKO LUCIC: Überhaupt nicht. Und das hat nichts mit den Konflikten in meiner Heimat Serbien zu tun.

Aber jetzt müssen Sie den großen Staatspolitiker mimen.

In der Regie von Dimitri Tscherniakov spielt das nicht die entscheidende Rolle. Nur einmal am Ende des ersten Akts, wenn Boccanegra fordert, Adria und Liguria sollen eins sein, sich nicht bekämpfen. Dann geht es wieder um die Liebe und meine Tochter.

Was ist dieser Boccanegra hier für ein Typ?

Im Prolog bin ich ein betrunkener James Dean, der seine Ex-Geliebte nicht erkennt. Dann im ersten Akt, also über 20 Jahre später, ein seriöser Politiker, der alles unter Kontrolle hat. Tscherniakov entfernt sich sehr vom Libretto: Boccanegra liebt seine Tochter gar nicht, da wird einiges anders, aber für mich ist das o.k.

Nicht nur Kritiker schwärmen von Ihrer idealen Verdi-Stimme. Wie machen Sie das?

Eine Verdi-Stimme bekommt man nicht, die hat man. Natürlich braucht’s eine gute Ausbildung. Meine Lehrerin Biserka Cvejic stand mit Piero Cappuccilli, Franco Corelli, Cesare Siepi auf der Bühne, die hat sie im Ohr und mir geraten: Nie forcieren und niemals eine andere Stimme kopieren! Natürlich war meine Stimme anfangs lyrischer, also habe ich mich mit dem schweren Repertoire zurückgehalten und gewartet, bis es zur Stimme passt. Ich bin durch und durch Verdi-Sänger, spüre genau, was er wollte.

Hört sich so an, als seien Sie kein Kandidat für Wagner.

Nein. Dabei gab es sogar einen Versuch: An der Scala musste ich den Heerrufer im „Lohengrin“ singen – und war total verloren, damit konnte ich überhaupt nichts anfangen.

Aber Wolfram...

...wäre schön, weil er gar nicht so weit weg ist von Verdi. Herrliches Legato. Eines Tages vielleicht.

Sie verbringen Ihr Leben also lieber mit Verdi.

Allerdings. Ab und zu mache ich kleine Ausflüge zu Puccini – Scarpia in der „Tosca“, den Michele im „Mantel“, dazu ein bisschen Tschaikowsky. Aber Papa Verdi steht über allem!

Reift man schneller, wenn man dauernd diese vielschichtigen Verdi-Charaktere verkörpern muss?

Würde ich nicht sagen. Das ganz normale Leben lässt mich reifen, meine Familie, meine beiden Söhne. Eher ist es anders herum: Wenn ich Rigoletto singe, bin ich nicht Rigoletto, sondern Vater! Ich stelle mir einfach vor, wie es wäre, wenn mein Sohn vor mir liegt und stirbt. Ehrlich, ich muss jedes Mal weinen.

Sie brauchen wahrscheinlich lange, um nach der Vorstellung zu entspannen.

Ich gehe erst gegen fünf Uhr ins Bett. Vorher ist an Schlaf nicht zu denken. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass wir nach der Vorstellung nicht zurechnungsfähig sind.

Sie könnten eine Runde um die Oper joggen.

Meine Güte, ich habe doch schon zwölf Kilometer hinter mir! Laut Statistik verbraucht ein Bühneneinsatz mindestens so viele Kalorien wie ein 10-Kilometer-Lauf.

Vielleicht Musik?

Ja! Entweder Volksmusik aus meiner serbischen Heimat oder Deep Purple, Led Zeppelin, Jimi Hendrix, Motörhead.

Am Sonntag waren Sie nicht zufällig bei Bruce Springsteen?

Der war hier? Wow! Aber das Wetter war doch so schlecht. Drei Stunden in der Kälte stehen, das darf ich nicht. Leider!

Sind Sie diszipliniert?

Sehr!

Gerne, oder müssen Sie sich zwingen?

Manchmal muss ich mich zwingen, meine Natur tendiert schon zur Lebensfreude. Am liebsten hätte ich dauernd Gesellschaft um mich. Grillen, trinken, wunderbar!

Münchner Bier?

Nein. Bei uns trinkt man Sliwowitz. Aber das geht mit der Singerei nicht, also lasse ich das ganz. Na ja, ich rauche...

Da sind Sie doch in bester Gesellschaft.

Ja, Cappuccilli hat täglich zwei Päckchen gepafft, Siepi war Kettenraucher, Caruso, Caballé... Ich hab’s auf vier, fünf Stück am Tag reduziert, aber die genieße ich.

Was wäre aus Ihnen geworden, wenn man Sie nicht für die Oper entdeckt hätte?

Ich wäre Stationschef in Zrenjanin geblieben und würde dort den Zugverkehr regeln, mein Gott, ich liebe Züge!

Nur spielen die bei Verdi so gar keine Rolle.

Fürchterlich! Aber die „Traviata“ in Frankfurt spielt tatsächlich an der Gare de l’Est in Paris. Das hat mir schon sehr gut gefallen.

Premiere ist am Montag, 3. 6., 19 Uhr; es gibt Restkarten

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