Was der neue Chefdirigent Clemens Schuldt für die Zukunft plant

Clemens Schuldt dirigiert im Schwere Reiter Neue Musik mit dem Münchnerer Kammerorchester
Marco Frei |
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Clemens Schuldt mit einer Partitur von Minas Borboudakis bei einer Probe mit dem MKO für das Konzert am heutigen Dienstag.
Florian Ganslmeier Clemens Schuldt mit einer Partitur von Minas Borboudakis bei einer Probe mit dem MKO für das Konzert am heutigen Dienstag.

Clemens Schuldt dirigiert im Schwere Reiter Neue Musik mit dem Münchnerer Kammerorchester

Am Donnerstag verabschiedete sich Alexander Liebreich als Chefdirigent des Münchener Kammerorchesters (MKO). Heute leitet sein Nachfolger Clemens Schuldt ein Konzert im Schwere Reiter. Sein Vertrag läuft vorerst für drei Jahre. Überdies wird den Musikern des Orchesters mehr Teilhabe eingeräumt. Wie passt das zusammen? Was will der Neue und wofür steht er?

AZ: Herr Schuldt, warum braucht das MKO einen Chefdirigenten, obwohl es erfolgreich Konzerte ohne Dirigenten realisiert?

CLEMENS SCHULDT: Um aus den Potentialen ebendieser Projekte verstärkt zu schöpfen. Ich möchte dieses Profil verfeinern, perfektionieren, zu einer richtigen Balance führen. Selbst Top-Streichquartette begeben sich zu externen Lehrern, um Meinungen und Kritik von außen einzuholen. Genau das werde ich tun. Gleichzeitig möchte ich einen Geist des Wir installieren.

Der 2014 verstorbene Dirigent Claudio Abbado nannte es „Fare musica insieme“, womit er das Musizieren aus der Kammermusik heraus meinte.

Richtig, diese Haltung ist mir wichtig. Auch Bernard Haitink oder Herbert Blomstedt sind in dieser Hinsicht weise und bescheiden, weil sie sagen: „Ich bin nur hier, um zu helfen.“ Durch die Förderung des kammermusikalischen Geistes erreichen sie beste Resultate. Andererseits möchte ich als Dirigent eine Energie vermitteln, die Vision eines Stücks. Das alles will ich potenzieren. Als Chefdirigent ist der Blick auf das Orchester ein anderer - samt neuen Impulsen, die stets notwendig sind.

Allerdings liegt ab sofort die künstlerische Leitung des MKO nicht mehr allein beim Chefdirigenten, sondern bei einem Gremium, deren Teil Sie sind. Damit soll dem Orchester mehr Mitsprache eingeräumt werden. Schränkt das Ihre Arbeit ein?

Von außen mag das so aussehen, aber in der Realität werden meine Wünsche im größten Maße berücksichtig. Außerdem ist meine Wunschliste derart umfänglich, dass jede Einigung auch immer Teil meiner eigenen Idee sein wird. Das können solche Stücke sein, die ich schon immer machen wollte, was sich aber bisher nicht ergeben hat. Und wenn ich etwas nicht kenne, bin ich neugierig: Vielleicht verliebe ich mich in ein Werk, das mir fremd ist. So gesehen ist die neue MKO-Struktur auch für mich ein großer Vorteil - weil ich von Komponisten erfahren kann, die ich nicht oder nur teilweise kenne.

Seit 1995 hat sich das MKO zu einer einzigartigen Werkstatt für neueste Streichorchester-Musik gemausert, mit höchst unterschiedlichen Beiträgen von der Avantgarde bis zur Postmoderne. Was sind Ihre Vorlieben?

Grundsätzlich gehe ich mit einer großen Offenheit heran. Ich freue mich auf das riesige Repertoire, dass das MKO bereits geboren hat und noch gebären wird. In der kommenden Saison stehen Ur- und Erstaufführungen von so unterschiedlichen Komponisten an wie die Italienerin Clara Iannotta, der Brite Christian Mason und der Österreicher Thomas Larcher. Eine emotionale Nähe empfinde ich persönlich zu den nordischen Komponisten, weil sie aus einer Klangschönheit kommen - mit spannenden Abläufen. Das sind Stimmen, die man noch mehr nach Deutschland holen sollte.

Wobei die Finnin Kaija Saariaho oder der Däne Hans Abrahamsen, die in der kommenden Saison präsentiert werden, im Musikbetrieb bestens etabliert sind.

Ja, aber andere nicht. Selbst der diesjährige Siemens-Musikpreisträger Per Nørgård, den wir ebenfalls aufführen, ist in Deutschland weitgehend unbekannt. Hier können wir einen kulturellen Austausch beginnen, auch übrigens im musikalischen Erbe. Warum ist Deutschland ein Brachland, wenn es um Carl Nielsen geht? Gleichzeitig habe ich aber kein Problem mit dem Experimentellen, selbst wenn ich mit einem Werk weniger anfangen kann. Das MKO schlägt sich ästhetisch nicht auf eine Seite, und das finde ich gut.

Die andere große Säule ist die historische Aufführungspraxis. Wie stehen Sie dazu?

Als studierter Geiger habe auch ich mit Barockbogen gespielt, Darmsaiten aufgezogen oder die tiefere Stimmung früherer Epochen gewählt. Ich konnte feststellen, dass sich das Instrument wohler fühlt. Der Bogen begann zu tanzen: Das Repertoire der Alten Musik ist sehr körperlich, geboren aus dem Rhythmus und dem Geist des Tanzes. Und aus der Klangrede, dem gesprochenen Wort, wie es Nikolaus Harnoncourt formulierte. Hier möchte ich mit dem MKO weiter voranschreiten.

Was wollen Sie in den kommenden drei Jahren überdies erreichen?

Ich möchte weitere neue Orte in München erschließen und bespielen, mit neuen Formaten. Da haben wir einige Pläne. Zudem habe ich große Lust, mit dem MKO zu reisen, um es in der Welt noch bekannter zu machen. Vor allem aber brauchen wir einen angemessenen Proberaum: Ich möchte mich in die Suche einklinken, die Akteure kennenlernen, präsent sein. Dafür ziehe ich nach München. Marco Frei

Schuldt dirigiert am 14. Juni um 20 Uhr das MKO im Schwere Reiter. Auf dem Programm stehen Werke von Nikolaus Brass, Minas Borboudakis, David Fennessy und Milica Djordjevic

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