Von der Renaissance zur Gegenwart
Alte, neue und nicht mehr ganz neue Musik bei der musica viva in der Bürgersaalkirche und im Herkulessaal
Die nur spärlich erhellte Bürgersaalkirche an der Kaufinger Straße, nachts um zehn. Der Geiger Helge Slaatto und der Kontrabassist Frank Reinecke haben ihr Instrumente pythagoräisch gestimmt. Und wer da glaubt, dieser Unterschied wäre doch nur was für Experten, dem sei versichert: Da leuchten die Quinten besonders rein.
Slaatto und Reinecke spielten Musik der Frührenaissance von Guillaume de Machaut und Philippe de Vitry. Papst Johannes XII. erließ gegen ihre frühe Mehrstimmigkeit sogar eine katholische Fatwa. Die hat anscheinend ihre Macht verloren: Denn neben solchen Altmeistern darf im Schein des Ewigen Lichtes mittlerweile auch Neue Musik von Wolfgang von Schweinitz gespielt werden. Die nur für zwei Instrumente komponierte Symphonie von Chris Newman hätte besser in die Fastenzeit gepasst – Schmalkost dank monotoner, Rhythmen, Dauermezzoforte und eines gleichförmigen Tempos. Und nach einer Stunde pythagoräischer Intervalle tut die temperierte Normalstimmung den Ohren richtig weh.
Keine Arbeit in Karlsbad
Da verblasste eine halbe Stunde vor Mitternacht die Erinnerung an das Hauptprogramm der musica viva. Der Dirigent Peter Rundel begann den Abend im Herkulesaal mit dem unwirschen, aber zugleich klassisch symmetrisch gebauten Orchesterstück „Quicksilver“ von Milica Djordjeviæ. Dann ließ Nikolaus Brass eine Koloratursopranistin Erinnerungen eines Kirchenmalers über Wanderungen ins Böhmische plappern („und in Karlsbad gab es auch keine Arbeit“).
Es ist schwer genug, sich für die Ausmalung lokaler Kapellen zu interessieren. Die orchestralen Reize des Stücks sind einnehmend. Aber vom versierten Meister Brass darf erwartet werden, dass er zarten Frauenstimme nicht von zwei Trompeten, zwei Posaunen und Tuba zubrüllen lässt. Und die Verstärkung gesprochener Passagen bleibt eine Krücke, wenn damit keine Formung des Klangs verbunden ist.
Mit dem Solisten und nicht gegen ihn
Wer von der musica viva einen Auftrag bekommt, erliegt leicht der Verführung, das ganze Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bemühen zu müssen. György Ligeti machte es in seinem vor 25 Jahren entstandenen Violinkonzert besser: Da spielt nur ein kleines Kammerorchester. Und zwar mit dem Solisten, nicht gegen ihn.
Mikrotonalen Schwebungen erweitern und bereichern den Sound. Die Parodie der Choräle und Passacaglien aus den Violinkonzerten von Alban Berg und Dmitri Schostakowitsch wirkt heute allerdings wie Postmoderne zu deutlich herabgesetzen Preisen. Ilya Gringolts geigte romantisch süß und ließ einen Bach folgen – eine hübsche Überleitung zur aufregenderen Frührenaissance in der Bürgersaalkirche.
Am 30. und 31. März dirigiert Mariss Jansons in der musica viva die Requiem-Strophen von Wolfgang Rihm. Am 1. April gastiert Teodor Currentzis mit dem Mahler Chamber Orchestra. Karten unter Telefon 0800 5900 594