Valery Gergiev dirigiert russische Musik
Mit der Vierten hat er 2001 bei den Münchner Philharmonikern debütiert. Zehn Jahre später dirigierte Valery Gergiev diese Symphonie beim Schostakowtisch-Zyklus. Und jetzt wieder, zum Abschluss seiner ersten Saison im Gasteig.
In der Tat, dieses Riesen-Werk liegt ihm. Da kann der Dirigent seine größte Stärke ausspielen: die souveräne Bewältigung großer Formen, die sich nicht in Details verliert. Gewiss: Gergievs Münchner Kollege Mariss Jansons arbeitet die untergründige, böse Energie und das Dunkle der Musik von Dmitri Schostakowitsch noch etwas stärker heraus. Bei Gergiev spielt das Bekenntnishafte eine geringere Rolle – er versteht diese Symphonien als absolute Musik ohne Inhalt und geheime Polit-Botschaft.
Die schroffen Gegensätze und die grotesken Elemente wirken etwas gezähmt. Und dass der Komponist etwa bei der Holzbläser-Episode gegen Ende des Mittelsatzes auch mal ein Piano und Pianissimo notiert hat, betrachten die Münchner Philharmoniker und ihr Chef das als geduldiges Notenpapier. Aber wie Gergiev dann den triumphalen Schluss erst als sinistre Bedrohung inszeniert und dann eisig verdämmern lässt, ist auch beim wiederholten Hören so überwältigend wie erschütternd.
Ein aufregendes Talent
Russisch war auch der Rest. Vor der Pause schüttelte der famose Behzod Abduraimov das dritte Rachmaninow-Konzert locker aus dem Ärmel. Der 1990 in Taschkent geborene Pianist ist das kommende große Klavierwunder aus dem offenbar unerschöpflichen Fundus brillanter postsowjetischer Klaviertechniker.
Er spielt lyrisch ohne billige Übertreibung. In der großen Konfrontation zwischen Solist und Orchester im Zentrum des ersten Satzes trumpft Abduraimov auf, um ein paar Takte später den Flötisten der Philharmoniker diskret zu begleiten. Einen besonderen Sinn hat er für die grotesken Episoden im Finale: Die nimmt der Usbeke flockiger als die meisten seiner Kollegen. Das ist wirklich plänomenal.
An den Anfang stellte Gergiev die Symphonie Nr. 3 „Jesus, Messias, errette uns“ der ziemlich querköpfigen Schostakowitsch-Schülerin Galina Ustwolskaja. Zwei große Trommeln, viel Blech und schrille Oboen spielen eine Musik, die zu einem schamanischen Ritual passen würde. Ein Sprecher raunt Frommes.
Für Westler drängt sich unweigerlich der Verdacht auf, es könnte sich um religösen Edel-Kitsch handeln. Und das ist es wahrscheinlich auch. Aber für unsere Ohren ist dieses knapp viertelstündige Werk nicht komponiert. Sein Titel dürfte auch im Entstehungsjahr 1983 sowjetische Kulturbürokraten ebenso verschreckt haben wie orthodoxe Kirchenfunktionäre die satanistisch angehauchte Musik. Und diese Widersprüche machen das Stück und seine Komponistin interessant.