Valery Gergiev dirigiert die Neunte von Anton Bruckner

Greller Greisenavantgardismus: Die Philharmoniker unter Valery Gergiev mit Werken von Richard Strauss und Anton Bruckner im Gasteig
Robert Braunmüller |
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Andrea Huber

MÜNCHEN - "Also sprach Zarathustra“ und Anton Bruckners Symphonie Nr. 9 an einem Abend? Das wirkt auf den ersten Blick widersinnig. Beide Werke sind schwere Brocken, die sonst als Hauptwerke nach der Konzertpause erklingen. Und ihre Botschaft scheint auf den ersten Blick auch hart gefügt: Bruckner soll seine Neunte (angeblich) dem „lieben Gott“ gewidmet haben. Richard Strauss (und Friedrich Nietzsche sowieso) war in religiöser Hinsicht unmusikalisch, was in der Passage „Von den Hinterweltlern“ und im Fugen-Spott „Von der Wissenschaft“ deutlich in Tönen ausgesprochen wird.

Wenn ein Dirigent beide Werke ansetzt, sind gewisse Abstriche unvermeidlich. Am Mittwoch fehlte da im Gasteig bei „Also sprach Zarathustra“ ein wenig die Frische. Der Luxusklangkörper der Münchner Philharmoniker raste wie ein Mercedes mit Selbststeuerung über die Klangautobahn: Die Musiker und ihr Chauffeur haben mit diesem Werk bereits die Neue Welt erobert.

Klobiges Tanzlied

Die Aufführung wirkte routiniert, aber nicht besonders pointenstark. Bei allem Willen zur Durchhörbarkeit kam das Tanzlied ein wenig klobig daher. Und den Schluss mit dem Widerspruch von C-Dur und H-Dur dürften die Holzbläser durchaus noch etwas leiser spielen. Was allerdings verdammt schwer ist.

Nach dem dionysischen Fest des Lebens das Weltabschiedswerk. Bruckner arbeitete bis zuletzt an der Neunten, ohne den letzten Satz vollenden zu können. In Bruckners Todesjahr 1896 wurde Strauss mit „Also sprach Zarathustra“ fertig, was die Kopplung beider Werke an einem Abend dramaturgisch durchaus rechtfertigt. In diesem Konzert wurde allerdings auch ein innerer Zusammenhang deutlich: Beide Komponisten sind auf ihre Weise Teil der musikalischen Moderne am Ende des 19. Jahrhunderts.

Gergievs Bruckner hat keine besondere Beziehung zum lieben Gott. Und auch nicht zu Richard Wagners Mischklang. Der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker sorgt für Trennschärfe und Dramatik. Den von Dirigenten der älteren Schule mit katholischem Weihrauch vernebelte Greisen-Avantgardismus der Neunten arbeitete diese Aufführung ziemlich exemplarisch heraus: die grellen hohlen Quinten in den letzten Takten des Kopfsatzes etwa. Oder der ächzende Aufschrei der Dissonanz beim Abbruch der Steigerung im Adagio, wo in allen anderen Symphonien Bruckners ein strahlender Durchbruch steht.

Ein Hauch von Schostakowitsch

Beim zweideutigen Schmettern des Blechs wähnte man sich für Momente bei einem der trügerischen Triumphe in einer Symphonie von Dmitri Schostakowitsch. Gergievs Bruckner ist in solchen Fällen ziemlich laut. Bei einer Symphonie, die einem das Hauptthema des ersten Satzes bereits mit einem dreifachen Forte auf der höchsten dynamischen Stufe um die Ohren haut, ist das nicht falsch. Mit einer riesigen Streicherbesetzung auf dem ehernen Fundament von zehn (!) Kontrabässen betonte Gergiev den Hang zum Maßlos-Gefährlichen bei dieser Symphonie, ohne in falsche Monumentalität zu verfallen.

Gergiev traf den stählernen, hell gleißenden Tonfall dieser Symphonie nicht nur im maschinenmäßig stampfenden Scherzo. Dem Dirigenten gelang es auch, die seltsam brütende Unruhe nach der Adagio-Katastrophe ohne Beschönigung darzustellen. Eben nicht, wie so oft, als Verklärung und friedvoller Abschied von der Welt. Sondern als drängende Frage, die der letzte, von Bruckner unvollendete Satz beantworten müsste.

Starke Steigerung

An dieser Stelle wird oft über improvisiert wirkende Gergiev-Konzerte geklagt. Bei dieser Neunten kam einem das nie in den Sinn. Es war das beste Konzert seit Gergievs Amtsantritt. Leben wir also, im Sinn von Strauss und Nietzsche, im Hier und Jetzt. Und hoffen auf mehr mitreißende Konzerte.

Noch einmal heute, Freitag, 16. Dezember, um 20 Uhr in der Philharmonie am Gasteig, einzelne Restkarten

 

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