Valentina Lisitsas Wunschkonzert
Jeder Besucher hatte zwei Stimmen. Vor dem Auftritt der Künstlerin wurde das Wahlergebnis bekannt gegeben: 40 Prozent der Zuhörer stimmten für Beethoven, 36 Prozent für Chopins Etüden, 20 Prozent für Liszts h-moll-Sonate und Stücke aus Michael Nymans Filmmusik zu „The Piano“.
Valentina Lisitsa, berühmt geworden als Klick-Königin bei Youtube, aber Kennern durchaus geläufig als solide Duopartnerin der Geigerin Hilary Hahn, begann ihren Klavierabend im Prinzregententheater mit Busonis Bearbeitung von Bachs Chaconne. Die aus der Ukraine stammende Pianistin ertränkte die Kontrapunktik in einem Kirchenhall aus viel Pedal. Beethoven spielte sie wie eine Traktoristin: laut, übertourt und ohne subtilere Zwischentöne. Mit der gelösten Heiterkeit des „Pathétique“-Finales konnte sie wenig anfangen.
Statt Beethoven über den verlorenen Groschen wüten zu lassen, plädierte Lisitsa dann für den abgewählten Michael Nyman. Und siehe: zu dieser konstruktivistischen, leicht unterkühlten Minimal-Romantik passt Lisitsas Panzerglas-Anschlag.
Nach Schweizer Vorbild
Nach der Pause, es war schon kurz vor zehn, kündigte die Pianistin ein „kleines Stück“ von Liszt an. Es wurde das Allergrößte draus: die ausgewachsene h-moll-Sonate. Sie passte bestens zum harten Kraftspiel der Dame in Blond. Von ein paar klanglich etwas übersteuerten Stellen abgesehen, war es eine rundum überzeugende Interpretation dieses technisch anspruchsvollen Stücks.
Und so langsam wurde auch Valentina Lisitskas Demokratieverständnis deutlich: Sie bevorzugt das Konkordanzmodell nach Schweizer Vorbild, in dem die Mehrheitsregel weniger wichtig ist. Und so gab es zum Schluss noch das Beste: eine Groß-Auswahl aus den beiden Etüden-Zyklen von Frédéric Chopin. Hier war die Lisitsa ganz in ihrem Element: sie spielt brillant, virtuos und kitschfrei, mit einem angenehmen Hang zur Klarheit.
Es lag nicht nur am stark beanspruchten Sitzfleisch der Zuschauer, dass es kurz nach elf Uhr stehenden Beifall gab. Zwei Zugaben folgten, und man war um zwei Einsichten reicher: Das Klavierpublikum wählt im Zweifel konservativ, und große Internet-Berühmtheit reicht anscheinend nicht für einen ausverkauften Saal.