Ungebremst loslegen: Siegfried in der Isarphilharmonie

Simon Rattle dirigiert Wagners "Siegfried" in der Isarphilharmonie.
Michael Bastian Weiß |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Simon Rattle dirigiert das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.
Simon Rattle dirigiert das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. © BR/Astrid Ackermann

München — Welches Geschlecht wohnt auf der Erde Rücken?" fragt Mime den Wanderer während der kleinen Quiz-Show im ersten Akt, und dieser antwortet: "Auf der Erde Rücken wuchtet der Riesen Geschlecht". In dieser konzertanten Aufführung von Richard Wagners "Siegfried" tritt genau hier ein Qualitätsunterschied zutage.

Verwaschener Tenor und präziser Bariton

Peter Hoare als Mime äußert "Auf der Erde Rücken" in einem verwaschenen Kauderwelsch, Michael Volle als Wanderer antwortet so gestochen, dass der unbeabsichtigte Eindruck entsteht, er wolle den Kollegen erst einmal dechiffrieren. Zugegeben: Der Direktvergleich ist ungerecht, weil Hoare Brite ist und Volle Muttersprachler; doch er setzt sich auch stimmlich fort, weil der 62-jährige Tenor schwammig phrasiert, noch dazu die tiefen Töne höchstens andeuten kann, während der bald 63-jährige Bassbariton in allen Lagen markig tönt.

Auch Siegfried zerschellt musikalisch am Wanderer, obwohl er im Stück doch eigentlich dessen Speer in zwei Stücke haut. Der Neuseeländer Simon O'Neill verfügt über einen schmalen, scharfen Tenor, der am besten klingt, wenn er ihn in eine durchsetzungsfähige Höhe stemmt. Doch die Textverständlichkeit ist für ihn nicht ein Problem, sondern kaum vorhanden, weil er über weite Strecken ohne ein vernehmbares "K", "B", "T", "N" und "W" singt, also sehr konsonantenarm, von den Vokalfärbungen wollen wir diplomatisch schweigen.

Ist da jemand ein wenig zu laut? Georg Nigl als Alberich im konzertanten "Siegfried" mit dem BR-Symphonieorchester unter Simon Rattle in der Isarphilharmonie.
Ist da jemand ein wenig zu laut? Georg Nigl als Alberich im konzertanten "Siegfried" mit dem BR-Symphonieorchester unter Simon Rattle in der Isarphilharmonie. © BR/Astrid Ackermann

Hauptdarsteller versagen

Dass hier zwei Hauptdarsteller besetzt wurden, die stimmliche Schwierigkeiten haben und in Sachen Diktion als Ausfälle zu bewerten sind, muss letztlich Simon Rattle angekreidet werden. Versucht der Dirigent, der seinen Münchner Chefposten noch gar nicht angetreten hat, zu retten, was zu retten ist, indem er begleitend besondere Rücksicht nimmt?

Dann müsste der beweglich deklamierende Bariton Georg Nigl als Alberich sich wohl nicht durchgehend ein Ohr zuhalten.

Franz-Josef Selig als Fafner.
Franz-Josef Selig als Fafner. © BR/Astrid Ackermann

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielt die ungewohnte Musik mit hörbarer Freude, naturgemäß besonders die vielgeforderten Kolleginnen und Kollegen vom Blech und vom Schlagzeug. Aber Rattle lässt alle so ungebremst loslegen, als ob sie im Bayreuther Orchestergraben mit Schalldeckel säßen und nicht auf der Bühne der akustisch superdirekten Isarphilharmonie.

Simon Rattle hakt ab

Vor allem aber ignoriert Rattle die syntaktische Gliederung des musikalischen Flusses, so, wie er dramatische Ereignisse unbeteiligt oder ahnungslos abhakt. Der Drachenkampf wird nur von der bassistischen Abgründigkeit von Franz-Josef Selig bestritten, das Misterioso der Erda-Szene speist sich allein aus der anderweltlichen Aura der Altistin Gerhild Romberger.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Anja Kampe als Brünnhilde nimmt das Geschehen dann lieber gleich selbst in die Hand, legt ein spezifisches Gewicht in ihren Gesang und regelt somit das Einheitstempo wohltuend herunter. Wie schon in der "Walküre" stellt sich wieder die Frage, warum Rattle diese Werke, zu denen er so offen ersichtlich keine Beziehung hat, aufführt. Sollte es seine Intention sein, die "Ring"-Tetralogie von Pathos zu befreien, verfehlt er sie ein weiteres Mal. Bislang hat er an Wagner bloß vorbeidirigiert.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.