The Cure: Ein Vampir, der niemanden beißt

München - Filigran leuchtet eine schlanke Mondsichel am Münchner Himmel, während die Fans an diesem wunderschönen Herbstabend vor der Olympiahalle anstehen. Einige sind weiß geschminkt, aber nicht, weil Halloween ansteht, sondern weil gleich die britischen Dark-Wave-Ikonen The Cure spielen.
Halle ist rappelvoll: Tanzlokal Größenwahn wäre wieder auferstanden
Das Publikum jeden Alters mischt sich aus Ex-Punks, Gothic-Individualisten, Mods und bürgerlich gekleideten Menschen mit Jeansjacke, andere rausgeputzt mit Hemd und Sakko. Auf manchen T-Shirts ist Robert Smith, der Leadsänger und Gründer der Band zu sehen, auf anderen steht Depeche Mode, Joy Division oder Nick Cave. Man könnte den Eindruck haben, das Tanzlokal Größenwahn wäre wieder auferstanden. Wie schön, dass es all diese Menschen immer noch gibt und man sie von Zeit zu Zeit auf Konzerten antrifft.
The Cure: Melancholie ist ihr Konzept
Die Halle ist rappelvoll. Die Vorband The Twilight Sad, eine schottische Independent-Gruppe, die The Cure seit Jahren begleitet, spielt eine Mischung aus schönem Emo-Pop zwischen Fischer Z und U2. Dann folgt eine Umbaupause, die von Regen- und Gewittergeräuschen mit Blitz und Donner wie bei "Riders On the Storm" von den Doors begleitet wird. The Cure machen keine Kompromisse, Melancholie ist ihr Konzept und diese Stimmung soll sich auch im Publikum ausbreiten. Das Licht im Saal geht aus, die Bühne ist nur spärlich beleuchtet, und Robert Smith, schleicht wie ein zu spät gekommener, schüchterner Partygast durch die Dämmerung des Bühnenrands herum, während die restlichen Musiker den nagelneuen Song "Alone" anstimmen. Dann tritt er ans Mikro und singt: "Dies ist das Ende jedes Liedes, das wir singen. Das Feuer wurde zu Asche, und die Sterne waren durch die Tränen trüb geworden. Kalt und besorgt, die Geister von allem, was wir waren. Wir stoßen mit bitterem Bodensatz auf unsere innere Leere an. Und die Vögel fallen von unserem Himmel, die Worte verschwinden aus unseren Sinnen, doch da ist Liebe, so viel Liebe, die aus unserem Leben weicht, Hoffnungen und Träume sind verschwunden."
Robert Smith: Verkörperung von Sentimentalität
Das Leben scheint ihn schon ganz schön zu betrüben, den Robert Smith. Aber genau das möchte das Publikum von ihm, er ist die Verkörperung von Sentimentalität, die Inkarnation des Klagelieds, die tragische Spiegelung eines androgynen Wesens aus der Welt der Schatten. Er macht das schließlich seit einer halben Ewigkeit, jede griechische Tragödie lässt ihn nur milde lächeln. Die Bühnenshow ist angenehm dezent, der Sound in der Olympiahalle erstaunlich perfekt, der rote Lippenstift des Sängers wie immer bewusst verschmiert, die Haare wie eh und je verstrubbelt und wie von außerirdischer Elektrostatik in sämtliche denkbaren Himmelsrichtungen verteilt, das Gesicht weiß gepudert, die Augen stark geschminkt mit viel Lidschatten und Kajal. Er wirkt wie ein Vampir, der so empfindsam ist, dass er niemanden beißt, sondern sein Schicksal in Elegien verpackt. Doch irgendwie hat dieser Schmerz auch etwas eigentümlich fröhliches, etwas beruhigendes, etwas sehr berührendes. Die Klänge bleiben den ganzen Abend verträumt, die Fans sind dankbar und lassen ihre Seelen mit düsterer Romantik füllen.
Robert Smith ist unglaublich charismatisch und durch seine zurückhaltende Art beinahe süß. Irgendwie möchte man ihn mal aus seiner Melancholie herausholen, ihm eine Halbe in die Hand drücken, mit ihm anstoßen und in alpenländischer Ursprünglichkeit sagen: "Geh weida, Schmidt Bertl, des werd scho wieda."
Perry Bamonte: Der Bass wummert wieder mächtig
Es gibt für die Anhänger der Gruppe zwei gute Neuigkeiten: Bassist Simon Gallup hatte zunächst vor gut einem Jahr seinen Austritt aus der Band bekanntgegeben. Eine Hiobsbotschaft, der Bass ist das wichtigste Instrument von The Cure, beeinflusste eine ganze Generation. Fans waren verzweifelt. Da fasste sich Gallup ein Herz und kehrte zurück. Vor kurzem kam dann die zweite frohe Kunde: nach über 17 Jahren ist der Gitarrist und Keyboarder Perry Bamonte ebenfalls wieder in den Schoß der Band geschwebt. Nun wummert der Bass mächtig und mitreißend gegen die Kehlköpfe der Zuschauerinnen und Zuschauer. Wer an der Schilddrüse erkrankt ist, braucht möglicherweise aufgrund des intensiven Bass-Sounds keine Medikamente mehr.
Die Band spielt wie immer erst einige neue Songs und packt dann gegen Ende die populären Hits wie "Boys don't cry" und das wundervolle "Lullaby" aus. Die Bühnenbeleuchtung steigert sich kontinuierlich, ist mal komplett lila, dann wieder grasgrün. Die Augen aller Fans leuchten vor Glück. Robert Smith und seine Band haben es wieder einmal geschafft, die Menschen zu begeistern und zu verzaubern.
Auf dem Nachhauseweg bedaure ich schwer, dass es das Tanzlokal Größenwahn nicht mehr gibt. Zum Glück ist München nach wie vor ein Quell der Vielseitigkeit, so gehe ich noch kurz in die Schwabinger Sieben, bevor ich dann im Kooks einen Absacker nehme. Aus den Lautsprechern am Tresen ertönt "Friday I'm in Love" von The Cure. Ein fantastischer Abend.