Summer Breeze: Eimersaufen im Piratenkostüm

Egal ob in der Flasche, der Dose oder doch im stylischen 10-Liter-Eimer - beim Summer Breeze Festival 2013 fließt reichlich Alkohol.
Laura Meschede |
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Dinkelsbühl - Das Zelt raschelt. Links und rechts bilden sich leichte Beulen in der grauen Polyesterwand. Klare Sache: Mo ist aufgewacht. Das ist das Zeichen. Alex stürmt zum Auto und dreht den „Fluch der Karibik“-Soundtrack auf volle Lautstärke. Aus dem Zelteingang kriecht, mit zerdrücktem Afro und schläfrigem Blick, Mo im Piratenkostüm. Ein paar Minuten lang tanzt er zu dem Soundtrack, dann dreht er sich um und kramt einen grauen Eimer und bunte Strohhalme hervor. Sangria-Zeit. Das Eimersaufen möge beginnen. Die Uhr zeigt 10.50Uhr.

Ich befinde mich auf dem Summer Breeze, einem über 30.000 Besucher starken Metalfestival in Dinkelsbühl. Mo und Alex sind Mitglieder der „Doombrothers“, einer knapp 10-köpfigen Gruppe von Metalfans aus verschiedenen Städten, die seit 2007 jedes Jahr gemeinsam auf das Summer Breeze fahren. Ihnen habe ich mich angeschlossen, um etwas über Metal und wahres Festivalwesen zu lernen.

Nicht, dass ich überhaupt keine Ahnung hätte: Von einer früheren Zeit, in der mir die Musik noch mehr zusagte, kenne ich noch einige wichtige Bands. Und vor zwei Jahren war ich auch schon einmal auf dem Summer Breeze. Nur: Bisher kam ich mit einem kleinen Zelt, einem Schlafsack und ein paar Bieren auf Festivals, schaute mir dann die 5 Bands an, deren Namen mir etwas sagten und fuhr wieder zurück.

Festivalbesucher, die mit mehreren Autos, Pavillons, Stühlen, Tischen und sonstigem Trum zu dem Event fuhren, waren mir immer ein Rätsel. Immerhin geht es doch um die Musik. Dachte ich.

Nach einem Tag mit den „Doombrothers“ bin ich mir da nicht mehr so sicher. Es ist Donnerstagmorgen, Tag des Festivalbeginns. Wir sind bereits seit Mittwochmorgen auf dem Gelände. Das ist nötig, wird mir erklärt, wenn man noch einen guten Platz ergattern möchte. Ein guter Platz, das heißt: möglichst nah an der Bühne und den Dixi-Klos, möglichst weit weg von dem Graben am Festivalrand, den einige Besucher als Toilette missverstehen.

Die Pavillons, zwei an der Zahl, sind aufgebaut, ebenso der Grill. Die riesige Kühlbox, gefüllt mit Fleisch und Bier, dient als zusätzlicher Tisch und steht in der Mitte des Stuhlkreises. Der Generator, den die Gruppe sich extra für das diesjährige Festival für 300 Euro zugelegt hat, ist angeschlossen – das Summer Breeze kann beginnen. Nur: Von Musik haben wir bisher noch gar nicht gesprochen. Aus den Boxen dröhnt nach „Fluch der Karibik“ inzwischen ein Lied, dessen Text „Hoch die internationale Getränkequalität“ lautet und mutet nicht gerade sehr metalig an. Und auch der Sangria-Eimer lässt mehr als Mallorca denken.

Sind die Anwesenden denn wirklich wegen der Bands hier? Da gehen die Meinungen auseinander. „Ursprünglich schon“, sagt Olivia. „Inzwischen sind sie eher ein netter Zusatz“. „Klar“, findet Mo, der sein Piratenkostüm extra als Würdigung für die Band „Alestorm“ trägt, die im Laufe des Tages spielen wird. Würde er auch hinfahren, wenn ihm die Bands nicht gefallen würden? „Ja. Aber nur wegen den Leuten. Und der Stimmung.“

Überhaupt gewinne ich immer mehr das Gefühl, dass es beim „Breeze“, wie die Fans das Festival liebevoll nennen, weniger um Metal hören geht, als um „metal sein“. Nur was „metal sein“ bedeutet, darüber bin ich mir noch nicht so ganz im Klaren.

Gegen halb drei geht es dann doch so langsam in Richtung Bühnengelände. Dieses ist zwar nur 10 Minuten von unserem Campingplatz entfernt – doch der Weg gestaltet sich schwierig. Denn überall auf dem Weg haben verschiedene Campergruppen „Zonen“ errichtet. Das sind auf dem Boden mit Gaffatape abgeklebte Bereiche, die man nur beschreiten darf, wenn man sich nach den Anweisungen richtet: Um durch eine „Slow Motion-Zone“ zu kommen, muss man sich in Zeitlupe bewegen, an der Witzzone einen Witz erzählen und die „Purzelbaum-Zone“ durchpurzeln. Ich lerne: Kreativität ist verdammt metal.

Einige Zonen später kommen wir schließlich an der „Pain-Stage“ an, der zweitgrößten Bühne des Geländes, direkt nach der Main-Stage. Es spielt „Alestorm“, eine Power-Metal-Band, die ihren Stil selbst als „True Scottish Pirate Metal“ bezeichnen. Mich verwirrt das. Das Metal nicht gleich Metal ist, habe ich inzwischen herausgefunden. Aber die Unterscheidung zwischen „Black Metal“, „Dark Metal“, „Death Metal“, Power Metal“, „Hardcore“ und den unzähligen anderen Stilen fällt mir schwer. Als ich meine Bedenken ausspreche, ernte ich jedoch vor allem mitleidige Gesichter. Ich lerne: Es ist metal, einen Lieblingsstil zu haben.

Das Konzert selbst gestaltet sich schwierig. Gerne würde man tanzen oder auch zur – wirklich guten – Musik von Alestorm headbangen, wie die wahren Metaller das machen. Aber es geht nicht. Denn alle drei Sekunden kommt ein „Crowdsurfer“, also eine Person, die sich auf den Händen den Publikums bis vorne an die Bühne tragen lässt, in Reichweite. Und unterbricht die Konzentration. Denn fallen lassen möchte man die Menschen ja auch nicht. In meiner Umgebung mehren sich die Beschwerden, „Doombrother“ Steve sagt: „Da vergeht einem ja komplett die Lust an dem Konzert.“ Und ich lerne: Crowdsurfing ist nicht metal.

Die nächsten Tage verbringen wir fast ausschließlich im Camp. Ich schaffe es immerhin, mir fünf Bands anzuschauen. Den Rest der Zeit wird gegrillt, getrunken und Ballermann-Musik gehört. Ich entdecke die Vorzüge an einem gut organisierten Campingplatz: Man muss nicht aufstehen. Nie. Möglicherweise ist auch Faulheit ganz schön metal, denke ich.

Doch erst am letzten Tag stelle ich fest, was das Festival und „metal sein“ wirklich für die Leute bedeutet. Denn es geht weder um die Ballermann-Hits, noch um die Crowdsurfer. Es geht darum, Dinge einfach tun zu können und trotzdem ein Teil der Gemeinschaft zu sein. Denn ob man den ganzen Tag crowdsurft, den Platz 24 Stunden mit Ballermann-Lieder bedröhnt oder im Piratenkostüm herumläuft: Wirklich komisch schaut einen niemand an.

Und als am letzten Tag die Gruppe für das Abschiedsfoto auf den extra dafür zusammengeschichteten Müllberg steigt, stelle ich mich dazu – und fühle mich ganz schön metal.

 

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