"Sterben in Karl-Marx-Stadt" von Kraftklub: In den Tod tanzen

Ob Chemnitz, Mexiko oder Friedhof - diese Party nimmt offenbar kein Ende. Dreizehn Jahre nach ihrem Debüt setzen sich Kraftklub auf ihrem neuen Album "Sterben in Karl-Marx-Stadt" mit dem Tod in all seinen Abstufungen auseinander. Es geht um verschwendete Zeit, das Ende einer Beziehung, um Ungesagtes - und ziemlich viel ums Rauchen, was ja auch ganz gut zum Thema passt. Stichwort: "Wenn ich tot bin, fang ich wieder an zu rauchen."
Inspiriert zu dem Thema wurden Kraftklub in Mexiko, wo der Día de los Muertos einen anderen Umgang mit dem Tod lebt als in Deutschland. Der Tag der Toten wird als lautes und buntes Freudenfest begangen, mit dem die Verstorbenen in die Gegenwart geholt und gefeiert werden. Der Chor zu Beginn von "Kippenautomat" stammt von einem Gig aus dieser Reise. Vielleicht klingt das vermeintlich leblose Thema deshalb so überraschend lebendig auf diesem Album.
Vielleicht aber auch, weil den Jungs beim Schreiben der neuen Songs die eigene Musikkarriere am inneren Auge vorbeizog. Jedenfalls klingen Kraftklub wieder sehr nach ihren Anfängen: krawallig, energetisch, fast jeder Track mit Mitgröl-Refrain und Ausrast-Hook - nur diesmal mit reiferen Texten und neuen Ideen.
Poesie mit Faber, Philosophie mit Deichkind
Neuen Wind bringen auch die unterschiedlichen Feature-Gäste auf die Platte: Hyperpop-Queen Domiziana, "Rage Girl" Nina Chuba, "Remmidemmi"-Experten Deichkind und der Schweizer Songwriter Faber. Letzterer wirkt auf "All die schönen Worte" soundtechnisch zwar seltsam deplatziert, bringt aber mit der Zeile "All die Worte, nie gesagt, jetzt bin ich fort und nehm' sie mit ins Grab" das Album auf den Punkt. Eine Klammer setzt "Unsterblich sein" mit Domiziana, das es gleich zweimal auf das Album geschafft hat: Der Song begrüßt die Hörer am Anfang in einer kraftvollen Version und verabschiedet sie am Ende als Ballade.
Besonders stark ist "Zeit aus dem Fenster" mit Deichkind. Der Track klingt wie die hektische, leicht verzweifelte Energie, die einen nach der Nachricht durchströmen muss, nur noch ein paar Tage zu leben. Im Text dagegen plädiert er überraschend philosophisch dafür, Zeit zu verschwenden und erklärt, warum genau das kein Widerspruch ist. Stress muss dabei keiner aufkommen - "Nirvana ist nicht, hier wird sowieso wiedergeboren", stellt Porky klar.
An anderen Stellen geht es etwas kopfloser zu, etwa in "Halts Maul und spiel", das vermutlich nicht zufällig an den entsprechenden Ärzte-Titel erinnert. Oder im unterhaltsamen "So rechts", in dem im weiteren Sinne die Frage erörtert wird, warum so viele Menschen im Alter in fragwürdige (rechte) Denkmuster abdriften und den Familienchat plötzlich mit YouTube-Videos ohne Quellenangaben fluten.
Man könnte meinen, dass auf diesem Album auch ein bisschen der neuen Ehrlichkeit von Felix Kummers erfolgreichem Soloprojekt eingeflossen ist. Das hat der Sänger begraben - an den Gerüchten, dass das hier auch der letzte Akt der Band sein sollte, ist bisher allerdings nichts dran. Wenn es irgendwann so weit ist, dürfte die Beerdigung aber ziemlich laut werden.