So waren Nile Rodgers & Chic und Kool & The Gang bei Tollwood
Zeitgleich schritten sie am frühen Freitagabend ein: die Fußballer der deutschen und spanischen Mannschaften ins Stuttgarter Stadion, die Funkmusiker von Kool & The Gang in die Musik-Arena auf dem Tollwood. Der Anstoß ihres Konzerts war um 18 Uhr, im Anschluss war Nile Rodgers & Chic angesetzt. Das Zelt war seit März ausverkauft, die Zuschauer hatten ihre Karten also besorgt, als ein EM-Viertelfinale mit der deutschen Mannschaft noch nicht absehbar war, und nicht wenige hätten das Spiel sicher gern gesehen, etwa die Gäste, die in Trikots aufgelaufen waren. Aber schon Kool & The Gang schafften es ohne großes Abtasten, die Zuschauer hinter sich zu bringen.
Die Band hat 1969 einen Namen gewählt, der fünfeinhalb Jahrzehnte später von Vorteil ist: Außer Robert "Kool" Bell sind alle Gründungsmitglieder verstorben, inzwischen hat sich der 73-jährige Bassist eine komplett neue Gang zusammengestellt, aus acht Musikern, die bis zu zwei Generationen jünger sind als er. Und die bringen den gepflegten, melodiösen Pop-Funk sehr gut auf die Bühne des Tollwood-Zelts.
Tanzbare Grooves, Party und natürlich "Celebration"
Kool lässt seiner Gang viel Raum für Instrumentalpassagen und ausführliche, tolle Soli. Nur bei Curtis "Fitz" Williams' leisem Piano-Intro zur Hitballade "Cherish" sind die Gespräche der 6.000 Zuschauer plötzlich viel lauter als das Klavier. Für jazzige Virtuosität sind sie nicht gekommen, aber die meiste Zeit sind tanzbare Grooves und Party angesagt, zum Beispiel beim unwiderstehlichen "Jungle Boogie". Und während die Fußballfans beim nahen Public Viewing auf dem Tollwood noch das erste Tor der Spanier verarbeiten müssen, ist im Zelt um halb acht mit der Schlussnummer das Gegenprogramm angesagt: "Celebration".
In der Umbaupause wollen viele Zuschauer vor dem Zelt die Schlussphase des EM-Spiels auf ihren Handys anschauen - zu viele, das Netz ist überlastet, die Videos brechen immer wieder ab. So erfahren es alle durch den kollektiven Jubelschrei der Public-Viewing-Zuschauer von nebenan: Ausgleich! Das Fußballspiel geht in die Verlängerung, das Konzert um viertel nach acht ebenfalls: mit Nile Rodgers. Und der verwandelt das Zelt sofort in eine Hochglanz-Disco.
Eine lange Liste an Hitklienten
Der 71-Jährige nennt seine Begleitband immer noch Chic und spielt all die großen Hits, die er mit seinem 1996 verstorbenen Partner Bernard Edwards aufgenommen hat. Aber eben auch die zahllosen Klassiker, die er als Produzent, oft auch als Songwriter für andere Künstler geschaffen hat. Die Liste seiner Hitklienten zählt der Mann im goldenen Glitzeranzug bei seiner ersten Ansage genüsslich auf: Diana Ross, Sister Sledge, Madonna, Daft Punk, Beyoncé, David Bowie, "die Liste ist zu lang", wie er sagt. "Wir wissen, wer Du bist", kommentiert ein Zuschauer trocken.
Seine ganzen Hits bringt Rodgers dann in Platten-Perfektion auf die Bühne, der Sound im Zelt ist so hervorragend wie in einem gut ausgestatteten Club, "Thinking Of You" von Sister Sledge klingt ebenso makellos wie "Notorious" von Duran Duran oder "I Want Your Love" von Chic. Irgendwo im Mix schwebt immer der unverkennbare, immer gleiche Sound, den Nile Rodgers aus seiner Stratocaster holt: die goldene Funk-Formel. Den mindestens ebenso wichtigen Bass spielt Jerry Barnes meisterhaft, nicht zuletzt bei einem Slap-Solo bei "Good Times", und ebenso spektakulär ist der Soul-Gesang von Kimberly Davis, einer der beiden Sängerinnen an der Seite von Rodgers.
24 Knaller für den Dancefloor
Wie im P1, wo er in seiner erklärten Zweitheimat München früher ein- und ausging, lässt Rodgers oft einen Song in den nächsten übergehen, Diana Ross' "I'm Coming Out" in "Upside Down", Sister Sledges "He's The Greatest Dancer" in "We Are Family", manche der unzähligen Hits werden nur in Kurzversionen gespielt. Das Publikum tanzt und jubelt - Moment mal, war nicht Fußball? - und bei all der Begeisterung müsste Nile Rodgers doch gar nicht ständig erklären, wie extrem erfolgreich er war und ist. Dass er schon sechs, sieben Nummer-eins-Hits gehabt habe, als er mit der jungen Madonna "Like A Virgin" und "Material Girl" produziert hat. Dass er mit "Get Lucky" von Daft Punk den Grammy für die beste Platte des Jahres gewonnen habe - der erste Dance-Music-Gewinner seit "Saturday Night Fever". Und dass er im vergangenen Jahr zugleich Grammys für seine Lebensleistung wie auch mit Beyoncé für die beste R&B-Single und das beste R&B-Album des Jahres bekommen hat - als erster in der Musikgeschichte!
Die Zuschauer hätten auch ohne diese Eigen-PR-Reden gemerkt, in der richtigen Disco gelandet zu sein. Rodgers und seine sieben Mitmusiker jagen 24 Knaller auf den Dancefloor, nicht einen Schieber, und für die größte Eruption sorgt der unschlagbare David-Bowie-Hit, der für die 6.000 Zuschauer das Motto des Abends war: Der deutschen Mannschaft beim Ausscheiden zusehen? Nein: "Let's Dance".
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