So ist das neue Album von Bruce Springsteen

„High Hopes“: Bruce Springsteens neues Album speist sich aus Fundstücken und den übersehenen Songs der eigenen Karriere
von  Christian Jooß

The Motifs waren eine Rockband in New Jersey – Anfang der 60er. „Raw, sexy, rebellious“, schreibt Springsteen in den Liner Notes zu seinem neuen Album „High Hopes“. Und Walter Cichon war ihr Lead-Sänger. Walter trat in die US-Armee ein und kam nach Vietnam: missing in action am 30. März 1968. Die Einheit musste sich unter Beschuss zurückziehen. Sie haben Walters Körper 15 Meilen südwestlich von Dak To zurückgelassen.

„The Wall“ ist ein weiterer Springsteen-Song in der die Karriere durchziehenden Verneigung vor Vietnam-Veteranen. Geschrieben nach dem Besuch des Vietnam Veterans Memorial mit Walter, dem Rockstar, im Kopf. Mehrmals live gespielt. Nicht auf Platte veröffentlicht. Bis jetzt.

Das Album „High Hopes“ gibt den vergessenen Songs der Springsteen-Karriere einen Ort. „The Wall“ ist eins dieser Kunstwerke, das die Klangewigkeit verdient hat, durch die sich nur eine Plattennadel tasten kann. Hier erzählt Springsteen, weil er Geschichte persönlich nehmen muss. An der kalten Marmorwand des Todes gleiten Entschuldigungen und Vergebung ab. Ein letzter Gruß steigt aus dem Kornett. Die letzten Orgeltöne. Danny Federici spielt sie. Er starb 2008.

Springsteens Album selber ist in Momenten ein Memorial. „Down In The Hole“ – das schwarze Loch der Verzweiflung. Vor und zurück schaukelt dieser Song, auf dass der Schmerz nachlasse. Federici sitzt noch einmal an der Orgel. Als Geist anwesend, kaum wahrnehmbar, durchscheinend ist da das Tenorsaxofon von Clarence Clemons. Es ist rührend zu hören, wie Spring-steen dafür sorgt, dass der Big Man die Band niemals verlassen wird.

Einen Neuzugang gibt es auf diesem Album, über den man reden muss. Er ist unüberhörbar. Auf der Tour 2013 in Aus-tralien sprang er für Steven Van Zandt ein: Tom Morello. Morello war bei Rage Against The Machine, wo er mit Gitarrenparts verblüffte, die noch das Britzeln des Tonabnehmerschalters zu Sound machten. In den Liner-Notes zum Album nennt Springsteen Morellos Gitarre seine Muse. Der Titelsong „High Hopes“, die Coverversion eines Tim Scott McConnell-Songs, kickt das Album vom Start. Bongo-Beat im Loop. Morello rhythmisiert mit Feedbackfiepsern.

„Harry’s Place“ – eine coole Mafianummer mit 80er Jahre- Geschmack. Morello steht auf dem Wah-Wah-Pedal. Clarence Clemons am Saxofon. Morellos Gitarre quietscht auch schon wieder. „American Skin (41 Shots)“: Alltagsgewalt, verheerende Doku-Ballade mit einem erhebend simplen Steve-Solo. Jetzt in Ergriffenheit versinken. Da kommt es noch, das hypervirtuos sinnfreie Flageolett-Geheule von Morello, der doch auch einfach mal einem Song dienen könnte, in dem er nicht nur sich selber gut findet. Spätestens bei der eigentlich wuchtig schönen Version von „The Ghost Of Tom Joad“ weiß man: Dieser Morello ist ein ziemlich schneller Gitarrist und eine verdammte Nervensäge.

Die Limited Edition des Albums kommt mit DVD: gut eine Stunde Konzert, mitgeschnitten in London auf Tour 2013. „No Surrender“, „Born In The USA“, „My Hometown“ – die Boss-Knaller für das Stadiongefühl, bei denen man den Vorteil hat, Max Weinberg ganz nah auf die Drumsticks gucken zu können. Eine Konzert-DVD ersetzt natürlich in seiner kathartischen Wirkung keine live erlebte Bruce-Messe. Aber wenn Spring-steen bei „Darlington County“ sein Publikum berührt, ist das auch transmedial ein wirkmächtiger Rock-Segen.

Bruce Springsteen: „High Hopes“ (Columbia/Sony Music)

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