So ist das neue Album von Bob Dylan - die AZ-Kritik
"Don’t look back“ – schau nicht zurück: So hieß ein früher Dokumentarfilm über Bob Dylan, und er brachte dessen Haltung perfekt auf den Punkt. Dylan, der am kommenden Dienstag 75 Jahre alt wird, machte nie etwas zweimal, der Wandel war stets sein künstlerisches Prinzip. 1965 spielte er als König des Folk plötzlich Rock’n’Roll. Als Gegen- und Rockkultur 1969 in Woodstock einen Höhepunkt feierten, sang Dylan Country, wenig später Schnulzen. Und selbst als er Mitte der Siebziger Jahre Nummer-Eins-Platten produzierte – das nächste Album klang garantiert wieder völlig anders.
An das Prinzip hielt sich Dylan eisern, im Großen wie im Kleinen. Darunter litten selbst Starproduzenten: Daniel Lanois hörte ihn Mitte der Neunziger im Studio eine Version von „Can’t Wait“ spielen, die ihn völlig begeisterte. Er hatte aber nicht mitgeschnitten und bat Dylan, den Song noch mal zu spielen. Ne, sagte der, er spiele nie etwas zweimal, sorry, da könne man eben nix machen. Und wechselte Tonart und Tempo.
Das Unvorstellbare, hier wird's Ereignis
Diese radikale Haltung hat die Nachwelt vielleicht um großartige Momente gebracht, doch der stets suchende Künstler fand so stets neue, interessante Ideen – über fünf Jahrzehnte lang, mit nur wenigen kurzen Unterbrechungen, eine unerreichte Leistung in der Popmusik. Das wird man in den nächsten Tagen überall nachlesen können, zum 75. Geburtstag werden sich die Feuilletons in angemessener Ehrerbietung übertreffen.
Doch pünktlich zu diesen Feierlichkeiten, nach mehr als einem halben Jahrhundert der ständigen Erneuerung, passiert nun das Unvorstellbare: Dylan wiederholt sich!
Heute veröffentlicht er „Fallen Angels“ – und das Album ist Teil zwei des vor einem Jahr erschienenen „Shadows In The Night“. Die Songs sind wohl zumindest teilweise Überbleibsel der Sessions zu diesem Album. Möglicherweise war Dylan auch ein weiteres Mal im Studio und spielte neue Songs ein, das wird zumindest in Fankreisen diskutiert. Doch so oder so: Wieder interpretiert Dylan Songs, die der von ihm verehrte Frank Sinatra gesungen hat. Lieder der Dreißiger, Vierziger, Fünfziger Jahre – also der klassischen Popmusik, die Dylan und die Beatles in den Sechzigern zur Musik der Alten gemacht haben, zum Gegenteil alles Coolen und Hippen.
Nicht durchgehend aufregend
Auf diese Musik, die er selbst immer geliebt hat, schaut Dylan lustvoll zurück. Sinatra und andere Interpreten haben die Songs in der Swing-Ära mit großem Orchester gespielt, Dylan spielt sie spartanisch, nur mit seiner Fünf-Mann-Band. Die hat der mittlerweile 86-jährige Toningenieur Al Schmitt live aufgenommen. Eine Session wie in den Fünfzigern: Die Männer saßen einfach da und spielten, Schmitt stellte uralte (und heute sündteure) Mikrofone auf und ließ das Band mitlaufen. Der Sound ist entsprechend intim, man sieht die Musiker geradezu nebeneinander sitzen und auf die Finger der anderen schauen. Sie spielen so leise, dass man zu Beginn von „Come Rain Or Come Shine“ das schwere Schnaufen des Sängers hört.
Das Album klingt zwar nicht durchgängig aufregend, doch die Besetzung mit Gitarren, Bass und dezentem Schlagzeug hat einen besonderen Reiz: Sie zeigt, wie nahe viele der Songs Country, Bluegrass und Western Swing sind – also Spielarten amerikanischer Musik, derer sich Dylan seit jeher bedient. Zwar sind Harmonien und Melodien von Songs wie „Polka Dots and Moonbeams“ oder „All Or Nothing At All“ komplexer, das Feeling aber ist ähnlich. Das herrliche „Skylark“ erinnert sogar an Dylans Countryaufnahmen von 1970. Und nicht selten schwingen sogar Blue Notes mit. Den Schlusssong „Come Rain Or Come Shine“ beendet Dylan nicht im Stil eines Crooners, sondern eines Bluessängers.
Und so klingt „Fallen Angels“ doch anders als „Shadows in the Night“, näher an den Wurzeln der amerikanischen Volksmusik, die Dylan wie kein zweiter beherrscht. Seinem gelungenen Gesang kommt das zugute, der Spielfreude der Band ebenso. Die swingt sich vergnügt durch „That Old Black Magic“, mit Walking Bass, Sechtzehntel-Gitarrennoten sowie ständigen und doch nicht nervenden Breaks.
Für immer jung
Immer wieder verbinden sich die Töne der Meistergitarristen Charlie Sexton und Donnie Herron auf zauberhafte Weise. Letzterer ersetzt mit seiner Steel Guitar hier und da die Flächen des Orchesters, ganz dezent im Hintergrund. Dann wieder greift er zu Banjo oder Geige, die er nicht weniger virtuos beherrscht. Die gesamte Band, seit Jahren gemeinsam auf Tour, spielt formvollendet, perfekt auf den Punkt – besser geht’s wirklich nicht. Höchstens wenn auf „Maybe You’ll Be There“ noch die gedämpften Bläser hinzukommen, die schon auf dem Vorgängeralbum zu hören waren.
So erstklassig wie das Album, so clever ist sein Erscheinungstermin: Die Werbung übernehmen die Medien kostenlos, wenn sie in ihren Gratulationstexten auf die CD hinweisen. Gelingt Dylan mit der Zweitauflage seiner Sinatra-Sause ein Nummer-Eins-Hit? Verdient wär’s allemal: Diese Musik ist zwar alt, zum Teil sogar älter als der Jubilar – doch in dieser Form sind Songs und Sänger für immer jung.
Bob Dylan, Fallen Angels (Sony)
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