Kritik

Simon Rattle auf "Winterreise"

Schuberts Liederzyklus in der Orchesterbearbeitung von Hans Zender im Herkulessaal
von  Robert Braunmüller
Simon Rattle (rechts) mit dem Tenor Allan Clayton bei der Aufführung von Hans Zenders Version der "Winterreise".
Simon Rattle (rechts) mit dem Tenor Allan Clayton bei der Aufführung von Hans Zenders Version der "Winterreise".

Es knistert im Schlagzeug, als ginge jemand durch gefrorenen Schnee, dazu vernimmt man noch Schritte im Zuschauerraum und sieht Musiker, die das Podium betreten. Das alles verbindet sich zu einem Rhythmus, und dann setzt Franz Schuberts Lied "Gute Nacht" ein, mit dem der Zyklus "Die Winterreise" beginnt.

Hans Zender hat die Klavierlieder 1993 für ein kleines Ensemble aus Bläsern, Streichern und Schlagzeug orchestriert. Diese Version lotet aus, wie viel an Mahler und Moderne in Schubert stecken. Und das ist nicht wenig.

Schubert mit Flüstertüte

Zenders "komponierte Interpretation" war damals auf der Höhe der Zeit eines gewandelten, von Sentimentalität befreiten Schubert-Verständnisses. Sie erweist sich bei der Wiederbegegnung im Herkulessaal mit Simon Rattle und den Akademisten des BR-Symphonieorchesters im Herkulessaal als erstaunlich frisch.

Das Spielerische - etwa beim Einsatz einer Flüstertüte oder von Windmaschinen wirkt nicht albern, wenn es mit vollem Ernst ausgeführt ist. Und ohne das gängige Liederabend-Ritual mit dem befrackten Sänger wirkt die existenzielle Verlorenheit der Musik auch stärker, die Zender besonders herausgearbeitet hat.

Ziselierter Gesang

Die Orchesterfassung hätte auch praktische Vorzüge für einen größeren Saal: Sie projiziert die Musik vergrößert in den Raum und macht den Ausdruck deutlicher, ohne dass der Sänger gleich in Opernhaftigkeit verfallen müsste. Allan Clayton versteht den Wanderer als zarte, zerbrechliche und sensible Persönlichkeit. Das kam gut heraus. Obwohl der britische Tenor über viel kontrollierte Kraft verfügt, nutzte er die von Zenders Bearbeitung eröffneten Chancen nicht. Er sang so ziseliert, als stünde er in einem Salon und nicht in einem Saal mit 1300 Plätzen. Und weil er sich bewusst stark zurücknahm, blieb der Text auf weite Strecken unverständlich. Auch seine deutsche Artikulation wirkt noch entwicklungsfähig.

Die Akademisten des BR-Symphonieorchesters im Herkulessaal
Die Akademisten des BR-Symphonieorchesters im Herkulessaal © Astrid Ackermann

Rückhaltlos erfreuen konnte man sich an der hohen Qualität der Akademisten, die sich in Zusammenarbeit mit dem BR-Symphonieorchester auf die Berufswelt von Orchestermusikern vorbereiten. Alle, von den Streichern bis zum Schlagzeug, wirkten perfekt und ausdrucksstark. In dieser Hinsicht braucht man sich keine Sorgen um die Zukunft zu machen - und um das Publikum mit vielen Oberstufenschülern eigentlich auch nicht. Und das ist bei einem nicht gerade Optimismus verbreitenden Werk wie der "Winterreise" eine schöne Sache.

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