"Wir leben in seltsamen Zeiten": BR-Symphonieorchester unter Simon Rattle auf Asien-Tour

Eindrücke von einer Tournee des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks durch Korea und Japan.
von  Marco Frei
Simon Rattle
Simon Rattle © Astrid Ackermann

Am Umgang mit China scheiden sich die Geister. Soll man als Orchester im Rahmen einer Asien-Tournee die Volksrepublik besuchen? Diese Frage ist im Orchesterleben gegenwärtig so virulent wie lange nicht mehr.

In München gibt es zwei große Klangkörper, die das jetzt vollkommen unterschiedlich geplant haben. Da sind die Münchner Philharmoniker: Als sie kürzlich in Fernost gastierten, flogen sie - nach zwei Konzerten in Tokio - weiter nach China.

SImon Rattle in der Garderobe.
SImon Rattle in der Garderobe. © Astrid Ackermann

Ganz anders zwei Wochen später das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks: Nach Gastspielen im südkoreanischen Seoul und einem einwöchigen Aufenthalt in Japan mit Konzerten in Osaka, Kawasaki, Tokio und Nagoya geht es weiter nach Taiwan. Auch dort werden mehrere Städte besucht. In Japan wird dieses "unterschiedliche Reiseverhalten", so die vornehme Formulierung, genau zur Kenntnis genommen.

Krisen in Fernost

Wer sich in den Konzertsälen als Münchner zu erkennen gibt, wird jedenfalls darauf angesprochen - auf subtile Weise. "Die Philharmoniker habe ich in Tokio besucht", berichtet Schinobu Yamamoto beim ersten Japan-Konzert der BR-Truppe unter Simon Rattle im "Hyogo Performing Arts Center" bei Osaka. "Das BR-Symphonieorchester kann ich jetzt bei mir in der Nachbarschaft erleben. Sie fahren nicht nach China weiter, sondern nach Taiwan."

Simon Rattle mit Fans nach dem Konzert in Kawasaki. Während der der Corona-Pandemie waren laute Rufe in japanischen Konzertsälen verboten, daher brachten manche Besucher Transparente mit und behielten dies bis heute bei. Ohnehin gilt in Japan lautes Geschrei als unhöflich.
Simon Rattle mit Fans nach dem Konzert in Kawasaki. Während der der Corona-Pandemie waren laute Rufe in japanischen Konzertsälen verboten, daher brachten manche Besucher Transparente mit und behielten dies bis heute bei. Ohnehin gilt in Japan lautes Geschrei als unhöflich. © Astrid Ackermann

Mehr sagt Yamamoto nicht. Wenn man ihn allerdings fragt, wie die politische Situation in diesem Teil der Welt sei, wird er deutlich: "Das ist wirklich sehr schwierig." Yamamoto spricht wenig, aber gut Deutsch, wirkte als Schlagzeuger in der Osaka Sinfonietta. Er liebt die drei großen Orchester in München, pflegt rege Kontakte zu den Schlagzeug-Gruppen der Philharmoniker, des BR und des Bayerischen Staatsorchesters. Seit 1996 bis 2005 war Yamamoto wiederholt an die Isar gereist, um Konzerte und Proben zu besuchen.

Ob der Korea-Konflikt oder China: Die Weltregion in Fernost ist derzeit ein Pulverfass. Die imperialen Drohgebärden Chinas im Südchinesischen Meer und der Formosastraße reißen nicht ab, und das betrifft keineswegs nur Taiwan. Im Falle Taiwans und Chinas ist es im Grunde kaum möglich, bei einer Tournee beide Länder problemlos zu besuchen. Es gibt zwar offiziell kein Verbot, allerdings riskiert man auf beiden Seiten die Kontakte.

Der Konzertsaal in Osaka wird auch als Opernhaus genutzt. Hier der Tubist Stefan Tischler vor einem Baum aus "Madame Butterfly".
Der Konzertsaal in Osaka wird auch als Opernhaus genutzt. Hier der Tubist Stefan Tischler vor einem Baum aus "Madame Butterfly". © Astrid Ackermann

Wie positioniert man sich da als Orchester, ohne die eigene Glaubwürdigkeit zu riskieren? "Eine delikate Frage", sagt Planungsmanagerin Miu Inui von Japan Arts. Schon zur Zeit von Mariss Jansons hat der BR mit dieser Agentur für Japan-Reisen gearbeitet. "Ich denke, dass wir nicht das Recht haben zu sagen, was richtig oder falsch ist", so Inui. "Im Vergleich zu Europa denken wir im Kulturbetrieb weniger politisch. Aber ja: Wir in Japan fühlen uns Taiwan sehr nah und verbunden. In dieser Gemengelage ist eine richtige Balance wichtig."

In Japan wird nicht mehr so viel Geld verdient

Zugleich erkennt Inui in China eine neue Klassik-Realität. "Man muss objektiv sein: Als Konzertmarkt ist China gewachsen, und man hört, dass das Publikum kultivierter geworden sei." Tatsächlich ist China für westliche Orchester auch wirtschaftlich ein lukrativer Markt. Die Volksrepublik zahlt den Klangkörpern für Gastspiele sehr viel Geld, und das ist in Zeiten von Einsparungen im Kulturbetrieb ein zentrales Argument für China-Tourneen.

"Wir sind in Japan nicht mehr in der Lage, so viel wie früher zu zahlen", räumt Inui ein. Der Yen sei im Sinkflug. Im Vergleich zu 2018, als das BR-Symphonieorchester zuletzt in Japan weilte, seien die Kosten für Reise, Unterkunft und Transport um mehr als das Doppelte gestiegen. "Wir sind in Japan nicht mehr auf dem Top-Level wie früher. Wir verstehen, dass die Orchester auch andere Orte brauchen, um zu touren."

Simon Rattle mit Nikolaus Pont, dem Manager des BR-Symphonieorchesters.
Simon Rattle mit Nikolaus Pont, dem Manager des BR-Symphonieorchesters. © Astrid Ackermann

Die Frage ist nur, wie weit man geht. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass China die Gastspiele westlicher Orchester propagandistisch nutzt, um Offenheit zu demonstrieren. Für Nikolaus Pont, Manager des BR-Symphonieorchesters, steht fest: "Man muss aufpassen, dass man sich nicht instrumentalisieren lässt. Eine Orchesterreise nach China sollte gut eingebettet und vorbereitet sein - auch kommunikativ."

Sorgen mit China

Zuletzt war das BR-Symphonieorchester 2012 mit Daniel Harding in China. Eine weitere Reise wird derzeit nicht geplant; das ist dem politischen, postmaoistischen Kurs unter Parteiführer Xi Jinping geschuldet. "Ich würde mir nichts mehr wünschen als ein unkompliziertes, unproblematisches Zusammentreffen mit allen Musikliebhabern in China", so Pont. "Wenn ich Bedenken äußere, hat das nichts mit dem Publikum in dem Land zu tun, und genau das ist so traurig." Simon Rattle pflichtet ihm bei.

Miu Inui von Japan Arts organisiert die Tournee des Orchesters.
Miu Inui von Japan Arts organisiert die Tournee des Orchesters. © Astrid Ackermann

"Ich persönlich habe große Sorgen mit China", sagt der BR-Chefdirigent auf Nachfrage. "Das ist sehr hart für mich, weil mein Vater ein Importeur und Exporteur für Fernost war. Er brachte als erster chinesische Violinen nach Großbritannien." In seinem Elternhaus seien "Freunde aus China" ein und aus gegangen. Die Situation in China erlebe er "mehr und mehr repressiv", so Rattle. "Als ich zuletzt 2019 in China mit dem London Symphony Orchestra (LSO) war, haben wir das alle gespürt."

Die erste Station der LSO-Chinatour 2019 sei Hongkong gewesen, während der Massenproteste. "Ich habe mich nach den Konzerten mit den Leuten getroffen, aber wir mussten schnell bemerken, dass wir nur codiert mit ihnen sprechen konnten." Auf der jetzigen BR-Tournee reise man nach Taiwan weiter, auch für die Asien-Tournee 2026 sei Taiwan geplant. "Lasst uns hoffen, dass das Land noch auf der Landkarte sein wird. Wir leben wirklich in sehr seltsamen Zeiten."

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