Kritik

Simon Rattle dirigiert Thomas Adés und Beethoven

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit "Aquifer" und der Pastorale im Herkulessaal
von  Robert Braunmüller
Simon Rattle mit Ratsche in den Schlusstakten der Uraufführung von Thomas Adès'"Aquifer" im Herkulessaal.
Simon Rattle mit Ratsche in den Schlusstakten der Uraufführung von Thomas Adès'"Aquifer" im Herkulessaal. © Astrid Ackermann/BR

Es war ein wenig unfair, vor der Uraufführung von Thomas Adès "Aquifer" ausgerechnet das Vorspiel und den Liebestod aus "Tristan" zu spielen. Denn Wagner beherrscht - entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil - eines wirklich: die Ökonomie der Effekte und die Kunst der langsamen Steigerung, die Simon Rattle mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks erfreulich nüchtern vorführte, auch wenn sich die Erlösung Isoldes etwas zu überschwanglos ereignete. Dafür gelang der dräuende, zum Ausbruch drängende Überdruck am Beginn des Vorspiels exemplarisch.

Adès komponiert leider nicht so ökonomisch. "Aquifer", ein Auftragswerk zum 75. Geburtstag des Orchesters, liefert eine Viertelstunde mehr oder weniger Dauerfortissimo. Eine unendliche fortscheitende Melodie kreist düster, jedes Fortissimo ist mit Trommelwirbeln, Glockenspielflimmer und Beckenschlägen nachgewürzt. Gegen Ende lichtete sich die Stimmung etwas und zum triumphalen Schluss lässt der Dirigent eine Ratsche kreisen. Denn die heißt, nachlässig übersetzt "Rattle". Naja, so ist er, der Musikerhumor, wie man ihn aus dem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker kennt.

Simon Rattle und Thomas Adès.
Simon Rattle und Thomas Adès. © Astrid Ackermann/BR

Eine runde Aufführung der Pastorale

Wichtigeres ereignete sich nach der Pause. Rattle begriff, Beethovens Anweisungen genau lesend, die "Pastorale" als Symphonie mit fünf abgestuft schnellen Sätzen. Der Beginn verbreitete hell und durchsichtig die rustikale Heiterkeit eines Scherzos von Haydn. Der Bach floß zügiger als üblich. Das "Lustige Zusammensein der Landleute" und das Gewitter funktionieren in jeder Aufführung fast von selbst. Schwierig bleibt die Weihe der dankbaren Gefühle des Hirtengesangs: Dem tat Rattles unromantische Nüchternheit gut, ohne dass in forcierter Weise übertrieben pedantisch historisch informiert gespielt worden wäre.

Das ist eine neue Farbe im eher schwerblütigen Münchner Beethoven-Einerlei. Und: runde Aufführungen der "Pastorale" sind selten. Insofern darf man sich diesen Tag im Kalender anstreichen. An Rattles leuchtende "Pastorale" dürften sich Hörer noch erinnern, wenn der "Aquifer" längst vergessen ist.

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