Schuld und Bühne
Der katalanische Regisseur Calixto Bieito vor der Premiere an der Staatsoper über Mussorgskys Oper „Boris Godunow“ und die Gemeinsamkeiten zwischen der Politik in Spanien und Russland
Seine Inszenierungen sind düster und kraftvoll, aber im Gespräch ist Calixto Bieito ein sanfter, leise sprechender Mensch. Für die Bayerische Staatsoper hat der Katalane Modest Mussorgskys „Boris Godunow“ inszeniert. Wie bei der letzten Premiere dieser Oper im Jahr 1991 wird die Urfassung ohne Polen-Akt gespielt. Premiere ist morgen, 19 Uhr, Kent Nagano dirigiert.
AZ: Herr Bieito, warum die Urfassung?
CALIXTO BIEITO: Das war eine Entscheidung des Hauses, die ich gern akzeptiert habe. Die Leitung des St. Petersburger Mariinsky-Theaters hat die Fassung von1869 wegen des Fehlens einer großen Frauenrolle abgelehnt, aber Mussorgsky hat das Werk in dieser Form für gültig erklärt. Mir gefällt, wie schnörkellos, ökonomisch und präzise die Geschichte in sieben Bildern erzählt wird. Deshalb gibt es auch keine Pause.
Diese Version endet nicht mit einem Volksaufstand, sondern mit dem Tod des Boris.
Er ist für ihn eine Art Befreiung von Angst und Schmerz. Deshalb ist die Musik hier auch so schön. Bei allen Unterschieden erinnert mich diese Oper an die illusionslose Schwärze von Alban Bergs „Wozzeck“. Es liegt eine Düsternis über dem Werk, vielleicht eine Vorahnung des Todes, der den von seinen Zeitgenossen unverstandenen Komponisten schon im Alter von 42 Jahren in Folge seiner Alkoholabhängigkeit ereilte.
Das Stück spielt um 1600 in der „Zeit der Wirren“ nach dem Tod Iwans des Schrecklichen. Ist das für Sie wichtig?
Boris Godunow hat Iwans Sohn ermorden lassen, um selbst Zar zu werden. Er ist ein romantischer Charakter, den Schuldgefühle peinigen. Heutige Politiker – in Spanien, die deutschen Verhältnisse kenne ich nicht – sind auch schuldig, aber sie schlafen im Unterschied zu Boris ruhig und fest.
Das Volk wird von den Mächtigen manipuliert.
Die Leute denken nicht nach, weil ihnen niemand die Gelegenheit dazu lässt. Sie sind wie Schafe. Das ist der Unterschied zu Spanien: Dort weiß ich, dass mich Banken, Politiker und jeder manipuliert, der ein bisschen Macht hat.
Warum reden Sie immer von Spanien – „Boris Godunow“ spielt in Russland.
Da gibt es für mich viele Gemeinsamkeiten. Etwa die weit verbreitete Korruption. Der große Konflikt des 20. Jahrhunderts war der Gegensatz zwischen Demokratie und Totalitarismus. Heute sind die größten Feinde der Demokratie die Korruption und die Manipulation der Leute durch Fußball und Sport. Nun bekommen wir die Rechnung der letzten Jahre präsentiert: 26 Millionen Arbeitslose, über die Hälfte der jungen Leute hat keinen Job. Aber es gibt – wie in Russland – auch Leute, die extrem reich sind. Das ist der Zusammenhang, und deshalb brauche ich auf der Bühne keine Popen, Bärte und Kronen.
Was machen Sie mit dem Gottesnarren, dieser sehr russischen Figur?
Er sagt die Wahrheit und verkörpert für mich Religion und Spiritualität – und zwar einen echten Glauben, nicht die zerstörte, europäische Form.
Wie verständigen Sie sich mit den russischen Sängern?
Auf Italienisch. Anatoli Kotscherga, der den Pimen singt, kenne ich außerdem schon recht lange.
Ihr Boris ist Alexander Tsymbalyuk – ein junger Sänger.
Das ist sehr gut, weil es uns vom Klischee wegführt. Tsymbalyuk hat ein Gesicht wie ein Engel. Seine Jugend und seine Panikattacken machen ihn verletzlich – zusammen mit den Schuldgefühlen löst das ambivalente Reaktionen beim Zuschauer aus. In meiner Inszenierung ist er ein junger, technokratischer Politiker, wie der spanische Ex-Ministerpräsident Zapatero – nur dass der sich im Unterschied zu Boris nie schuldig gefühlt hat.
Weitere Vorstellungen am 17., 20., 23., 27.2. und 2.3., Karten unter 21 85 19 20
- Themen:
- Bayerische Staatsoper
- Kent Nagano