Roger Norrington über Sibelius ohne Vibrato

Der Dirigent Roger Norrington über Sibelius ohne Streicher-Vibrato und seine Arbeit mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja
Robert Braunmüller |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Geiger, Bratscher und Cellisten versetzen die linke Hand, mit der die Töne gehalten werden, in ein leichtes Zittern. So entsteht das Vibrato und damit der satte Klang, der für Aufführungen der Symphonien von Jean Sibelius typisch ist. Der Dirigent Roger Norrington bekämpft dieses Stilmittel als unhistorisch, weil sich das Dauervibrato der Orchester-Streicher erst in den 1920er Jahren durchgesetzt hat. Am Mittwoch dirigiert er die Zweite von Sibelius im Gasteig. Es spielt das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR.

AZ: Herr Norrington, ist Sibelius ohne Vibrato überhaupt denkbar?

ROGER NORRINGTON: Ja! Aber ich war mir bis gestern auch nicht sicher, dass es geht. Ich habe lange gezögert, Sibelius im reinen Ton aufzuführen. Aber es klingt sehr schön, vor allem im zweiten Satz und den anderen langsamen Passagen der Symphonie.

Wie dachte Sibelius über die Verwendung des Vibrato?

Ich kennte keine Aussagen. Aber um 1900, als Sibelius an seiner Zweiten arbeitete, war das Dauervibrato der Streicher noch nicht üblich. Es wurde nur als spezielle Farbe eingesetzt. Erst unter dem Einfluss von Solisten wie Fritz Kreisler wurde es im Orchester allgemein üblich.

In den Aufnahmen des finnischen Dirigenten Robert Kajanus, der eng mit Sibelius zusammengearbeitet hat, hört man Vibrato.

Die entstanden erst nach 1930, als sich der Stilwandel bereits vollzogen hatte. Igor Strawinsky und Arnold Schönberg wollten das Vibrato nur als besonderes Stilmittel eingesetzt wissen. Arnold Rosé, der langjährige Konzertmeister der Wiener Philharmoniker und Schwiegersohn von Gustav Mahler, hat nie mit Vibrato gespielt. Um 1910 setzte eine Diskussion unter Musikern ein, inwieweit dieses Stilmittel der Streicher auch auf andere Instrumente zu übertragen sei.

Ist das nicht pure Rechthaberei?

Ich lasse um 1900 entstandene Musik nicht ohne Vibrato spielen, weil das historisch richtig ist, sondern weil es schöner klingt und mich die Reinheit des Tons und der Harmonien überzeugt.

Aber es gibt auch Musik, bei der Vibrato unverzichtbar ist.

Bei Hans Werner Henze etwa. Wir haben vor ein paar Jahren versucht, seine wunderbare Orchesterfassung von Wagners „Wesendonck“-Liedern ohne Vibrato zu spielen. Das ging nicht. Es klang schrecklich.

Haben Sie oft Sibelius dirigiert?

Kaum. Eigentlich seit meinem Studium nicht mehr. Ich finde, dass viele Interpreten seiner Musik übertreiben: Langsames wird noch langsamer, Schnelles überschnell, das Grandiose Bombastisch. Das hat zum schlechten Ruf dieses Komponisten in Deutschland beigetragen. In Wirklichkeit hat Sibelius wie alle großen Komponisten die Sentimentalität gehasst. Puccini hasste Sentimentalität, Mahler und Tschaikowsky ebenfalls. Und natürlich der britische Komponist Edward Elgar: Seine eigene Aufnahme der Enigma-Variationen ist klar und klassisch. Und so muss auch Sibelius klingen: voller Sonnenschein und schöner Melodien.

Vor Sibelius dirigieren sie das Violinkonzert von Beethoven. Verwenden Sie die Tempi, die der Komponist mit dem Metronom festgelegt hat?

Die gibt es beim Violinkonzert nicht, nur bei den Symphonien. Aber natürlich sind Rückschlüsse möglich. Der erste Satz darf nicht zu schnell sein, der zweite nicht zu langsam. Ich höre viel „Fidelio“ heraus – das Konzert entstand etwa zur gleichen Zeit wie die Oper.

War es schwer, sich mit Patricia Kopatchinskaja auf die Interpretation zu einigen?

Ich habe das Violinkonzert mit ihr vor drei Jahren in Paris aufgeführt. Wenn es mir als Dirigent nicht gelingt, einen Solisten von meiner Deutung zu überzeugen, dann habe ich meinen Job verfehlt.

Welche Solo-Kadenz spielt sie?

Eine sehr kreative Variante der Version, die Beethoven für die Klavierfassung des Konzerts komponiert hat. Der Paukist spielt mit, der Konzertmeister ebenfalls und vier Solo-Celli. Es ist ein Kammerkonzert mitten im Konzert, ziemlich verrückt.

Gasteig, Mittwoch, 14. Januar, 20 Uhr, Restkarten ab 19 Uhr, Abendkasse

 

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.