Kritik

Risikofreude und Lust am Experiment: Simon Rattle dirigiert die musica viva

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Werken von Lachenmann und Boulez im Herkulessaal
Marco Frei |
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Simon Rattle und der Tubist Stefan Tischler
Astrid Ackermann 3 Simon Rattle und der Tubist Stefan Tischler
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal
Astrid Ackermann 3 Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal
Simon Rattle und der Tubist Stefan Tischler
Astrid Ackermann 3 Simon Rattle und der Tubist Stefan Tischler

Das Alter ist keine Zahl, sondern eine Haltung. Im Januar ist Simon Rattle 70 Jahre geworden. Mit seiner Neugier und Offenheit wirkt er aber ungleich jünger als manches dirigierendes, junges Star-Gemüse. Er pflegt ein breites Repertoire, von der Alten bis zur Neuen Musik. Auch die "musica viva" profitiert davon.

Seit dem Amtsantritt Rattles als Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks präsentiert sich diese Reihe für Neue Musik so ungezwungen und befreit wie selten zuvor. Das kommt gut an: Auch jetzt war das Konzert unter Rattle im Herkulessaal mit den beiden BR-Klangkörpern ausverkauft, noch dazu viel junges Publikum.

Simon Rattle und der Tubist Stefan Tischler
Simon Rattle und der Tubist Stefan Tischler © Astrid Ackermann

Mit dem Konzert hat Rattle nicht nur seinen runden Geburtstag nachgefeiert, sondern auch die diesjährigen Jubilare Pierre Boulez und Luciano Berio gewürdigt. Sie wären 100 Jahre alt geworden, und im November feiert die Musikwelt den 90. Geburtstag von Helmut Lachenmann. Auch er war vertreten und zudem persönlich zugegen: gefeiert vom Publikum. Es wurden Werke ausgesucht, die überraschende Einblicke gewährten.

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal © Astrid Ackermann

So führt Boulez in "Cummings ist der Dichter" für gemischten Chor und Orchester von 1970 die Stimmen nicht wie sonst in die Vertikale, sondern in die Horizontale. Das erinnert an "Lux Aeterna" von György Ligeti. Das Ergebnis ist eine sich fast sphärenhaft ausbreitende, klangsinnliche Großfläche. Ganz anders Berios "Laborintus II" mit Stimmen, einer Sprecherin und Tonband nach Dante und Edoardo Sanguineti. Hier lebt der Italiener bereits 1965 jene stilistische Collage, für die seine "Sinfonia" drei Jahre später berühmt werden wird. Die Virtuosität, mit der Berio die Stile verwebt, geräuschhaft und jazzig, lautmalerisch und lyrisch, kräftig gewürzt mit musiktheatralisch-performativen Elementen, das ist unerhört.

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Ein starkes Werk, das in der Wirkung noch stärker hätte werden können, wenn die Sprecherin Marie Goyette ordentliches Italienisch beherrscht hätte. Dafür aber war zu erleben, wie Rattle als studierter Schlagzeuger ins Tamtam schlug. Ungewöhnlich ist "Harmonica" für großes Orchester mit Tuba von 1981/83: Hier ringt Lachenmann seinen geräuschhaften Klangaktionen eine geradezu humoristische Theatralik ab, schlicht brillant musizierte BR-Tubist Stefan Tischler.

Was alle Werke einte, ist eine risikofreudige Lust am Experiment. Auch das macht sich heute eher rar. Bei der "musica viva" wurde das mustergültig gelebt.

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