Riccardo Muti for President!
Allzu lange haben uns die angeblichen Alte-Musik-Spezialisten eingeredet, dass man die Wiener Klassiker nur mit kalter Vibratolosigkeit und pseudo-rhetorischer Kurzatmigkeit spielen darf. Viele Musikhörer wissen schon gar nicht mehr, wie wunderschön ein modernes Orchester auch in einer Mozart-Symphonie klingen kann.
Da ist es von geradezu existentieller Bedeutung, dass Riccardo Muti mit den Berliner Philharmonikern vorführt, welch’ herrliches Melos und welche unerhörten harmonische Prozesse in Mozarts Symphonie Nr. 35 in D-Dur („Haffner“) verborgen liegen. Ein vorbildliches Beispiel ist das Andante. Die Violinen spielen hier selbst einfache hohe Achtelfiguren mit einem kleinen belebenden Vibrato.
Zurückgehaltene Kraft
Überhaupt tritt der ganze Streicherapparat seidig, doch auch kraftvoll in Erscheinung. Doch diese Kraft ist zurückgehalten, es ist nur zu ahnen, zu welchem Volumen die Berliner fähig wären – und der sorgfältig gestaltende Muti verzichtet listig darauf, jede Möglichkeit auch zu nutzen, weil die bloße Erahnbarkeit noch ungleich stärker wirkt. Im Kopfsatz spürt Muti den dunklen Momenten dieses Stückes, das so oft undifferenziert durcheilt wird, nach: Eine geradezu beängstigende Tiefe bricht auf. Franz Schuberts „Ouvertüre im Italienischen Stil“ hingegen wird in köstlicher Leichtigkeit hingetupft. Chapeau!
Eine Interpretation von höchster Karatzahl erfährt auch die symphonische Phantasie G-Dur „Aus Italien“ von Richard Strauss. Der junge Komponist erteilte allen Erwartungen, hier würden musikalische Postkarten aus Italien gesandt, kühn eine Absage. Vielmehr stellte er sich die rein kompositorische Aufgabe, eine Folge von drei langsamen Sätzen mit Leben zu erfüllen.
Unbestechliche Gelassenheit
Der 73-jährige Muti entwirft mit unbestechlicher Gelassenheit und großem Atem weitläufige symphonische Landschaften, in denen ein Spitzenorchester alle seine Möglichkeiten verwirklichen kann: Die Streicher leuchten mild wie zuletzt wohl zu Karajans Zeiten, die Holzbläser spinnen ihre Kantilenen, das Blech hallt edel in die Weiten der Philharmonie hinein.
Und das Finale, in welchem Strauss endlich und zutiefst ironisch mit dem Gassenhauer „Funiculì, Funiculà“ den letztlich vollkommen sinnlosen Italien-Bezug herstellt, bringt das Publikum pausenlos zum Lachen. Das dürfte ganz im Sinne des Komponisten gewesen sein. Dieser Abend ist nicht anders denn groß zu nennen.
Liebe Berliner Philharmoniker! Wählt Riccardo Muti zu Eurem nächsten Chefdirigenten. Das fordert nach diesem Konzert mit Nachdruck: Michael Bastian Weiß