Restkarten im Intrigantenstadl Bayreuth

Der Anfang vom Untergang der Wagner-Festspiele? Oder mehr eine Intrige gegen Katharina Wagner?
von  Robert Braunmüller
Katharina Wagner, die künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Bayreuther Festspiele.
Katharina Wagner, die künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Bayreuther Festspiele. © picture alliance/dpa

Wer den Bayreuther Festspielen auf Facebook folgt, konnte zuletzt Überraschendes lesen. "Nach der Prüfung sämtlicher Kontingente und Rückgaben nicht genutzter Dienstkarten" gäbe es kurzfristig wieder Karten. Der Ticketshop bleibe online geöffnet, und auch eine Nachfrage an der Tageskasse am Grünen Hügel könne sich durchaus lohnen.

 

Und da reibt man sich doch überrascht die Augen. Bayreuth, so eine verbreitete Vorstellung, sei notorisch ausverkauft und für Normalbesucher unzugänglich. An der Tageskasse wartet zwar immer eine Handvoll Unentwegter, letztendlich werden da fünf Minuten vor Vorstellungsbeginn zwei oder drei Karten plötzlich Erkrankter verkauft.

Der rote Teppich wird vor dem Festspielhaus ausgerollt.
Der rote Teppich wird vor dem Festspielhaus ausgerollt. © picture alliance/dpa

Der Normal-Wagnerianer bestellte schriftlich im Herbst und bekam alle paar Jahre eine Zusage. Für einen jährlichen Besuch musste man entweder Rezensent, Ehrengast der Stadt oder Mitglied der "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth" sein. Und Letzteres ist finanziell wie auch atmosphärisch nicht jedem gegeben.

Noch Karten übrig: Schwindendes Interesse an Wagner-Festspiele in Bayreuth?

Ioan Holender, einstens Direktor der Wiener Staatsoper und heute Kulturexperte von Servus TV, holte daraufhin in der österreichischen Tageszeitung "Die Presse" den Holzhammer heraus. Eine Warnung sei das, nicht nur für Festspielleiterin Katharina Wagner, sondern auch "für alle jene Operntheater weltweit, welche die Musik und die Vorlage - das Libretto -, auf deren Grundlage die Musik komponiert wurde, vernachlässigen, verändern, verachten und - man glaubt es nicht - öfters auch nicht kennen."

 

Das Regietheater ist also wieder einmal schuld - und diese Aussage ist bei Holender nicht ohne Witz, weil er in seiner Zeit an der Wiener Staatsoper mit Hans Neuenfels und Herbert Wernicke typische Vertreter dieser Richtung verpflichtete. Aber auch die musikalische Richtung Bayreuths passt dem 87-Jährigen nicht: Das zahlende Publikum, so Holender weiter, habe dem Festspielhaus den Rücken gekehrt, weil man "fragwürdige Dirigenten" und unzureichende Sänger engagiere. Und womöglich sei das schwindende Interesse an Bayreuth gar ein "Zeichen für das bevorstehende weltweite Ende der Oper".

Dafür ist es wohl doch noch zu früh. Genaue Zahlen über die verfügbaren Karten sind in Bayreuth auf Nachfrage nicht zu erfahren. Aber es soll sich um relativ wenige Plätze handeln. Schwieriger scheint es gewesen zu sein, ein von der "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth" nicht beanspruchtes Kontingent an Karten für den "Ring des Nibelungen" an Spontan-Besucher zu verkaufen. Für den Vierteiler braucht man eine ganze Woche und eine große Lust auf überteuerte Provinz-Hotels, privat vermietete Zimmer und die örtliche, sehr fleischhaltige Hausmannskost.

 

Katharina Wagner: Soll ihre Position geschwächt werden?

Man mag den unter ungünstigen Bedingungen herausgebrachten "Ring" von Valentin Schwarz für misslungen halten. Aber "Ring"-Leichen gibt es auch anderswo. Die übrigen Inszenierungen bieten eine Vielfalt künstlerischer Handschriften. Roland Schwabs "Tristan" rückt die Musik in den Vordergrund, Tobias Kratzers "Tannhäuser" ist mehr satirischer Kommentar. Für die von Holender bestrittene Attraktivität Bayreuths bei Sängern spricht es, dass alle krankheitsbedingten Absagen zuletzt erstklassig ersetzt werden konnten.

Und: Was ist so schlimm daran, dass die Festspiele versuchen, ein jüngeres und diverseres Publikum jenseits der Stammgäste anzusprechen, die bei der Wagner-Weihe gerne unter sich bleiben? Weil Karten heute kurzfristiger gekauft werden, kann es durchaus sinnvoll sein, ein bestimmtes Kontingent erst vergleichsweise spät anzubieten. Nur wäre es natürlich besser, das als Strategie zu betreiben und nicht aus einer Zwangslage heraus.

Es wäre naiv, Holender keine Hintergedanken zu unterstellen. 2025 steht Katharina Wagners Vertrag als Festspielchefin zur Verlängerung an. Üblicherweise wird derlei etwa zwei Jahre davor verhandelt: also jetzt. Und es liegt in der Natur der Sache, dass es Leute gibt, die ihre Position schwächen möchten. Ihre Ablösung dürfte ausgeschlossen sein, weil der Familie des Komponisten satzungsgemäß die Leitung zusteht und derzeit kein anderer Wagner auch nur annähernd gleich qualifiziert ist.

Und wer könnte da Interessen haben? Da fällt einem zu allererst Christian Thielemann ein, der zuletzt im Vorjahr "Lohengrin" dirigierte. Er war Musikdirektor der Festspiele - ein Amt, das so urplötzlich auftauchte, wie es wieder verschwand, dem Vernehmen nach, weil der als schwierig geltende Dirigent seinen Kollegen unerbetene Ratschläge erteilt haben soll.

Welche Rolle spielt Christian Thielemann?

Insider wollen wissen, Thielemann habe einem anderen Dirigenten verraten, dass er Holenders Artikel mehr oder weniger wörtlich diktiert habe. Naturgemäß lassen sich solche Gerüchte schwer bestätigen oder widerlegen, nur: Thielemann ist die Galionsfigur jener Traditionalisten, denen die Öffnung Bayreuths unter Katharina Wagner generell nicht passt. Weshalb einem das Gerücht irgendwie glaubhaft vorkommt.

Ioan Holender (im Hintergrund) mit dem - noch etwas jüngeren - Christian Thielemann in der Deutschen Oper Berlin.
Ioan Holender (im Hintergrund) mit dem - noch etwas jüngeren - Christian Thielemann in der Deutschen Oper Berlin. © Imago

Und das bringt uns zu einem strukturellen Problem der Festspiele, das schwerer wiegt als einige nicht verkaufte Karten: die Rolle des Verwaltungsrats der Festspiele. Dieses Gremium mischt sich immer wieder in Angelegenheiten ein, die an anderen Theatern aus guten Gründen vom Intendanten und seinem Verwaltungsdirektor autonom entschieden werden.

Dessen Vorsitzender ist Georg von Waldenfels, der zugleich der konservativen "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth" vorsteht. Dieses Gremium hat - was heute zugegeben wird - den "Parsifal" des Künstlers Jonathan Meese verhindert, weil einflussreichen Mitgliedern die ganze Richtung nicht passte. Der Verwaltungsrat hat auch nur 300 VR-Brillen für die "Parsifal"-Neuinszenierung von Jay Scheib bewilligt. Das ist bei einer Aufführung, die mit "Augmented Reality" arbeiten wird, mehr als widersinnig. Und natürlich wird das nicht am Verwaltungsrat klebenbleiben, sondern an der Festspielchefin, die diese Inszenierung wollte.

In Bayreuth herrscht Reform- und Professionalisierungsbedarf

Neben Waldenfels und dem Bayreuther Oberbürgermeister gehören dem Gremium von Ministerien entsandte Juristen an. Niemand von ihnen hat Erfahrungen im Opernbetrieb oder in der Leitung eines Theaters. Insgesamt scheint es, als würden die öffentlichen Geldgeber derzeit ihre Verantwortung nicht in einer Weise wahrnehmen, wie sie ihrem finanziellen Gewicht entspricht.

Da herrscht Reform- und Professionalisierungsbedarf. Leider wirkt die Kulturstaatsministerin Claudia Roth desinteressiert, Bayerns Kunstminister Markus Blume reagierte auf Fragen zu den Festspielen bisher eher ausweichend.

Zwischen Markus Söder und Kunstminister Markus Blume ist im Festspielhaus möglicherweise noch ein Platz frei - ein Selfie gibt's dann inklusive, wenn Sie die Karte kaufen.
Zwischen Markus Söder und Kunstminister Markus Blume ist im Festspielhaus möglicherweise noch ein Platz frei - ein Selfie gibt's dann inklusive, wenn Sie die Karte kaufen. © picture alliance/dpa

Und es hilft nicht, den Zeiten des absolutistisch regierenden Langzeit-Patriarchen Wolfgang Wagner verklärend nachzuhängen. Nirgendwo verkaufen sich heute Karten von selbst, und schon gar nicht nach den beachtlichen Bayreuther Preiserhöhungen der letzten Jahre.

Die Festspiele brauchen modernere Strukturen, keine neue Leiterin. Katharina Wagner hat ihren Job unter schwierigen Bedingungen recht gut erledigt und die Festspiele mit der Kinderoper, dem Rahmenprogramm Diskurs Bayreuth und Open Airs für die örtliche Bevölkerung geöffnet. Und Wagner ist nun einmal personell der Markenkern dieser Festspiele.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.