Renaud Capuçon: "Jede Stunde zählt"
Er ist ein international gefragter Geiger, zudem leitet er gleich mehrere Klassikfestivals und hat den Terminkalender eines Topmanagers. Heute spielt Renaud Capuçon in der Isarphilharmonie zum ersten Mal das Violinkonzert Nr. 2 von Thierry Escaich.
AZ: Herr Capuçon, wie ist es, eine Uraufführung zu spielen?
Renaud Capuçon: Das erste Mal ist das erste Mal und wenn du da nicht alles gibst und die Premiere schief geht, dann wird das womöglich mit dem Werk verbunden. Die Zuhörer haben das Stück schließlich noch nie zuvor gehört und ich bin quasi der Übersetzer, der ihnen zeigen will: Vertraut mir - das ist ein fantastisches Stück Musik.
Das Violinkonzert trägt den Titel "Au-delà du rêve", was so viel bedeutet wie "Jenseits des Traums". Wie klingt das?
Das Stück entwickelt sich über drei Sätze, beginnt sehr träumerisch und geht dann in sehr intensive, packende Passagen hinein. Ich schätze Thierry Escaichs Art zu Komponieren sehr. Er komponiert tonal, sehr rhythmusbezogen und mit einer klaren und logischen Harmonik. Dabei sind seine Werke ausgesprochen organisch komponiert und auf der Geige ist seine Musik wunderbar zu spielen. Trotzdem ist das Stück verdammt schwer. Ich übe wie verrückt und nutze jede Gelegenheit. Jede Stunde zählt - das ist, wie wenn ich mein Handy auflade. Am Morgen des Konzerts werde ich dann hoffentlich bei 98 Prozent sein.

Sie haben das Konzert selbst bei Thierry Escaich in Auftrag gegeben; zuvor haben Sie bereits sein Doppelkonzert und ein Sextett uraufgeführt. Was verbindet Sie mit dem Komponisten?
Escaich ist ein guter Freund. Wir sind uns vor mittlerweile 25 Jahren das erste Mal begegnet und ich kenne ihn und seine Musik sehr gut. Wir sind auch jetzt im Vorfeld der Uraufführung eng in Kontakt und ich stelle ihm Fragen zu verschiedenen Details. Ich bin mir sicher, dass das auch in der Vergangenheit oft so war zwischen Komponisten und Interpreten; es ist ein sehr intensiver gemeinsamer Prozess.
Haben Sie im Vorfeld irgendwie Einfluss genommen auf das Werk?
Nein, überhaupt nicht. Aber Thierry Escaich kennt mich natürlich, meinen Charakter und meinen Klang auf der Geige, das hat ihn sicherlich beeinflusst beim Komponieren. Seit ich das Konzert nun übe, ist es für mich wie ein perfekt geschneiderter Mantel geworden, den ich überziehe. Es ist ein großartiges, berührendes Werk und ich möchte es bei der Uraufführung mit derselben Hingabe und Liebe spielen, mit der ich auch das Violinkonzert von Brahms spielen würde.

Gerade sind Sie noch in Aix-en-Provence, am Montag konzertieren Sie mit Igor Levit in Heidelberg, dann reisen Sie zu den Proben und der Premiere nach München. Woher nehmen Sie diese Energie?
Letztlich aus der Musik selbst. Ich liebe die Musik und die Künstler, mit denen ich zusammenarbeite. All die verschiedenen Projekte machen mich tief glücklich. Am meisten Ruhe, Kraft und Heimat aber finde ich auf der Bühne, wenn ich spiele. Dann bin ich transparent - Sie hören die Musik und wissen, wer ich bin.
Isarphilharmonie, 10. und 11. April, 19.30 Uhr. Auf dem Programm des von Daniel Harding dirigierten Konzerts steht außerdem Bruckners Symphonie Nr. 4
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