Prima la Musica - zum Tod von Wolfgang Sawallisch

Erst nach der Musik kam für ihn die Bühne. Jetzt ist Wolfgang Sawallisch mit 89 in Grassau gestorben
Volker Boser |
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Die Nachricht kam nicht unerwartet. Seit einigen Jahren war es still um ihn geworden. Er hatte abgeschlossen mit dem Musikbetrieb, den er nicht mehr verstehen konnte und wollte. Schon früher, als er noch die Geschicke der Bayerischen Staatsoper leitete, machte Wolfgang Sawallisch keinen Hehl aus seiner Skepsis gegenüber den geschmäcklerischen Eitelkeiten eines Regietheaters, dem die optisch-szenischen Pointen stets wichtiger zu sein schienen als das Gespür für die Erfordernisse der Musik.

Sawallisch wusste, wofür er kämpfte. Seine Erfahrungen hatte er sich redlich erarbeitet: als Kapellmeister in Augsburg und GMD in Aachen, Wiesbaden und Köln. „Oper ist viel schwerer zu dirigieren als ein Symphoniekonzert“, meinte er einmal.

Wenn er im Nationaltheater am Pult stand, konnte auf der Bühne Schlimmes passieren. Aber das Staatsorchester musizierte stets auf jenem hohen Niveau, das zu dieser Zeit in keinem anderen Opernhaus der Welt anzutreffen war.

Sawallisch garantierte, dass die sprunghaft virtuosen Alleingänge seines Partners August Everding im Rahmen blieben. Dennoch wuchsen die Spannungen. Die salomonische Lösung des Kultusministeriums war für beide damals das Beste: Sawallisch wurde Staatsoperndirektor, Everding Generalintendant.

Schon 1957 hatte Wolfgang Sawallisch in Bayreuth debütiert. Sein Live-Mitschnitt des „Fliegenden Holländers“ mit der damals blutjungen Anja Silja als Senta zählt noch immer zu den herausragenden Einspielungen dieser Oper. Doch auch auf dem Grünen Hügel kündigten sich Veränderungen an, die der Maestro nicht mitgehen wollte. Für ihn hatte stets die Musik den Vorrang vor der Szene.

Regisseure, die keine Noten lesen konnten, waren ihm suspekt. Und er konnte sich diese Haltung auch leisten. Es gab kaum einen Ort, an dem er nicht Triumphe feierte, ob in Mailand, Florenz, Wien oder Salzburg, ganz besonders als Wagner- und Strauss-Dirigent wurde er weltweit geschätzt.

Ohne Eitelkeiten, aber mit Krawatte – und pünktlich wie die Uhr

Während seiner Zeit als Chef der Wiener Symphoniker verblüffte er die österreichischen Fans damit, dass es von ihm zehn Jahre lang nicht eine einzige Absage gab. Auf die Minute pünktlich erschien er zur Probe, Krawatte selbstverständlich, egal, woher er gerade kam.

Als er von der Oper genug hatte, fühlte er sich mit 70 noch fit genug, den Job als Musikdirektor des Philadelphia Orchestra anzunehmen. Gerne hat er erzählt, dass der berühmte Eugene Ormandy ihn schon 1980 als Nachfolger haben wollte, was ihm aber wegen seiner Münchner Verpflichtungen unmöglich war. Ormandy wählte deshalb Riccardo Muti.

In Philadelphia erlebte Wolfgang Sawallisch einen weiteren Frühling: „Die Jahre dort waren der Höhepunkt meiner Tätigkeit als Chefdirigent eines Orchesters.“ Musiker und Abonnenten hatten die uneitle Art des Münchners schätzen gelernt.

Als im Winter 1994 ein Schneesturm verhinderte, dass ein Konzert mit Ausschnitten aus Wagners „Tannhäuser“ und „Walküre“ ordnungsgemäß stattfinden konnte, weil die Orchestermusiker nicht zur Stelle waren, setzte sich Sawallisch an den Flügel, begleitete seine Solisten Deborah Voigt, Heikki Siukola und René Pape sicher durchs Programm und unterbrach immer dort, wo er glaubte, dass die wenigen anwesenden Zuhörer Erklärungen benötigten. Der Abend wurde zum Triumph.

Am Freitag starb Wolfgang Sawallisch 89-jährig in Grassau am Chiemsee. Seine zahlreichen Einspielungen werden hoffentlich dazu beitragen, dass er, dessen Wirken zu Lebzeiten immer ein wenig unterschätzt wurde, als Ausnahmemusiker unvergessen bleibt.

 

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