Kritik

Peter Kofler und Jörg Halubek mit Bachs Orgelwerken

Wie sich zwei neue Gesamtaufnahmen der Orgelmusik von Johann Sebastian Bach unterscheiden
Michael Bastian Weiß |
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Das Denkmal für Johann Sebastian Bach prägt den Hof der Thomaskirche in Leipzig.
Das Denkmal für Johann Sebastian Bach prägt den Hof der Thomaskirche in Leipzig. © picture alliance/dpa

Selten macht es bei neuen CD-Alben so eine Freude, die Beihefte durchzublättern, wie bei diesen beiden Sammlungen von Orgelwerken von Johann Sebastian Bach: weil man durch die Abbildungen der verwendeten Instrumente eine Ahnung nicht nur von ihrem Klang bekommt, sondern sogar von dem Gefühl, das die Musiker beim Spiel gehabt haben müssen.

Da ist zunächst der stolze Spieltisch der Rieger-Orgel der Münchner Michaelskirche von 2011: modern, mit vier großzügigen Manualen und computergestützten Programmierhilfen. Peter Kofler, seit 2008 Organist an St. Michael, kennt die Möglichkeiten des Instrumentes wie kaum ein Zweiter und hat mit einer mittlerweile dritten, ganze sieben Stunden Musik umfassenden Folge seine Gesamteinspielung aller Orgelwerke von Bach vollendet.

Peter Kofler kann virtuos aufdrehen. Das wirkt umso mehr, als er sich zuvor fast in den hintersten Kirchenwinkel verzupft.
Peter Kofler kann virtuos aufdrehen. Das wirkt umso mehr, als er sich zuvor fast in den hintersten Kirchenwinkel verzupft. © Walter Glück

Der Spieler gegen die Mechanik

Auf der anderen Seite sind da die zwei, teilweise drei kürzeren Manuale der Stellwagen-Orgel in der Jakobikirche zu Lübeck (17. Jahrhundert), der Treutmann-Orgel in der Klosterkirche St. Georg bei Goslar (18. Jahrhundert) oder der Wiegleb-Orgel in St. Gumbertus zu Ansbach (18. Jahrhundert, rekonstruiert 2007) mit ihren altertümlich barocken Registerzügen, die Jörg Halubek in seiner im Entstehen begriffenen Totale der Bach'schen Orgelwerke benutzt.

Wer einmal an einem solchen alten Instrument sitzen durfte, weiß, wie es auf der Empore rummst und kracht, wenn man das Trompeten- oder das Mixturbass-Register bedient, wie die alten, eng zusammenstehenden Tasten ächzen und klappern, weil man sie mit den Fingern geradezu attackieren muss, wenn man ihnen einen Ton entlocken möchte. Nicht umsonst sprach man in diesen Zeiten davon, die Orgel zu "schlagen", weil der Spieler gegen die schwerfällige Mechanik anarbeitet.

Historische und moderne Instrumente

Die Gattung "Toccata" hat von diesem "Schlagen" ihren italienischen Namen, und tatsächlich hört man in einem vergleichsweise prominenten Werk dieses Titels, der Toccata und Fuge BWV 538, der sogenannten "Dorischen", reizvolle Unterschiede der Instrumente. Die historische Silbermann-Orgel des St. Marien-Doms zu Freiberg von 1714 klingt unter den Händen von Jörg Halubek heller, schärfer als das Münchner Instrument.

Blick in den Dom St. Marien Freiberg mit der großen Silbermann-Orgel.
Blick in den Dom St. Marien Freiberg mit der großen Silbermann-Orgel. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Dazu ist es von der Aufnahmetechnik direkter, fokussierter eingefangen worden als das moderne. Denn für die Münchner Totale haben die Tonmeister ihre ganze Kunst aufgefahren und unter Zuhilfenahme von Drachenbautechnik an Stativen nicht weniger als zehn Mikrophone praktisch unmittelbar vor den Pfeifen postiert. Das Resultat ist ein unvergleichlich komplexes, reiches und weitdimensioniertes Klangbild.

Der Organist Jörg Halubek haut ordentlich auf die Tasten und macht genauso als Cembalist und Dirigent von sich Reden.
Der Organist Jörg Halubek haut ordentlich auf die Tasten und macht genauso als Cembalist und Dirigent von sich Reden. © Marco Borggreve

Was beim vergleichenden Hören der Toccaten, Fantasien und Fugen hingegen auffällt, ist, dass sich weder Halubek als Kofler von ihren ganz unterschiedlichen Ausgangssituationen allzu sehr beschränken lassen. Halubek traktiert die alten Orgeln gebührlich heftig und kann somit in den improvisierenden Passagen Spontaneität vermitteln, bei längeren Entwicklungen einen nach vorne drängenden Durchzug herstellen. Kofler kann virtuos aufdrehen, konzentriert sich jedoch mehr darauf, die unendliche Palette von Farben und Schattierungen der Rieger-Orgel auszuloten, wofür besonders seine intime Registrierungskunst bei den Choralvorspielen und -bearbeitungen steht - man höre die himmlische Ruhe von "O Mensch, bewein dein Sünde groß", BWV 622.

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Selten zeigen sich die Differenzen der beiden Parallelaktionen so plastisch wie an einem ganz besonderen Werk, das selbst im Kosmos der Orgelwerke Bachs einzig dasteht. An der Goslaer Orgel von 1737 spielt Jörg Halubek die monumentale Passacaglia BWV 582 mehr oder weniger robust im energischen Forte durch, hat aber Reserven für einen schön dröhnenden Schlusspunkt. Peter Kofler hingegen beginnt in München leise, hält die geheimnisvolle Stimmung lange durch, zieht sich zwischendurch fast unhörbar in den hintersten Kirchenwinkel zurück, und baut dann erst in der Fuge eine Steigerung bis zu einem brausenden Finale auf. In seiner jeweiligen Konsequenz ist beides gleich eindrucksvoll - und die Musik von Bach kann man ohnehin nicht oft genug hören.

Johann Sebastian Bach: "Opus Bach": Peter Kofler, Orgel (Rieger-Orgel der Jesuitenkirche St. Michael, Farao Classics), "Organ Landscapes": Jörg Halubek, hist. Orgeln (Berlin Classics)

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