Oswald Beaujean und Meret Forster über den Musikwettbewerb der ARD
In diesem Jahr dreht sich alles um Kontrabass, Horn, Harfe und Streichquartett. 345 Bewerber aus aller Welt haben Tonaufnahmen beim Musikwettbewerb der ARD eingesandt, 199 von ihnen wurden nach einer Sichtung durch die Vorjury eingeladen. Preisgelder in Höhe von 180 000 Euro warten auf die Sieger. Die künstlerische Leitung des Wettbewerbs liegt bei Oswald Beaujean und Meret Forster.
AZ: Frau Forster, Herr Beaujean, wie wichtig ist der ARD-Wettbewerb international?
OSWALD BEAUJEAN: Es ist der weltgrößte Musikwettbewerb, größer als der Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau oder der Concours Reine Elisabeth in Brüssel. Wir müssen uns da nicht verstecken. Fast 90 Prozent der Bewerber kommen aus dem Ausland.
MERET FORSTER: Und innerhalb der ARD ist der Musikwettbewerb beim Hörfunk nach dem Auslandkorrespondentennetz das größte umlagefinanzierte Gemeinschaftsprojekt.
Wie teilen Sie sich die künstlerische Leitung?
FORSTER: Wir haben keine strikte Arbeitsteilung in dem Sinn, dass sich der eine nur um die Auftragskompositionen und der andere nur um die Jury kümmert.
BEAUJEAN: Die Konstellation ist nicht neu. Axel Linstädt hat den Wettbewerb in den vergangenen Jahren in enger Abstimmung mit mir geleitet. Es ist einfach praktischer, wenn man zu zweit ist. Einer allein kann nicht bei allen Jury-Entscheidungen dabei sein. Denn es sind eigentlich vier Wettbewerbe, die gleichzeitig stattfinden.
Worin besteht die Aufgabe der künstlerischen Leitung?
FORSTER: Das Wichtigste ist die Zusammensetzung der Jurys. Außerdem vergeben wir die Kompositionsaufträge und legen in enger Abstimmung mit den Jurys fest, welches Repertoire von den Teilnehmern verlangt wird. Dafür gibt es Listen aus der Vergangenheit, die allerdings immer wieder überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht werden müssen.
BEAUJEAN: Außerdem kümmern wir uns um die Nachhaltigkeit des Wettbewerbs, wie etwa um das Kammermusikfest und die Ausstrahlung auf die gesamte ARD.
Wie sieht die aus?
BEAUJEAN: Alle Kulturwellen der ARD übertragen das Abschlusskonzert direkt oder zeitnah. Der WDR übernimmt alle drei Preisträgerkonzerte. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg verpflichtet beispielsweise einen Preisträger für eine CD-Produktion, der SWR lädt einen anderen zu einem Orchesterkonzert ein. Das versuchen wir noch zu intensivieren.
Wieso ist das Münchner Rundfunkorchester heuer nicht beteiligt?
BEAUJEAN: Dieses Orchester hatte heuer eine sehr lange Saison bis Mitte August durch die Mitwirkung bei konzertanten Opernaufführungen der Salzburger Festspiele. Nächstes Jahr ist das Münchner Rundfunkorchester beim Wettbewerb wieder dabei.
Was passiert, wenn ein Juror einem seiner Schüler beim Wettbewerb wiederbegegnet?
BEAUJEAN: Wir versuchen dem vorzubeugen, indem wir überwiegend primär ausübende Künstler in die Jurys holen. Aber auch die geben oft Meisterklassen oder unterrichten an Musikhochschulen. Große Lehrer haben oft große Schüler. Es gibt klare Richtlinien: Der Unterricht muss drei Jahre zurückliegen, sonst ist der Juror nicht stimmberechtigt.
Worin besteht der Reiz des Wettbewerbs für den Zuhörer?
FORSTER: Alle Runden sind öffentlich, für die ersten zwei Durchgänge ist der Eintritt frei. Es ist sehr reizvoll, Interpretationen im Vergleich zu hören und mit einem Kandidaten zu zittern.
BEAUJEAN: Es gibt immer welche, die leidenschaftlich auf Entscheidungen der Jurys schimpfen. Aber das gehört dazu. Der Besuch hat sich sehr gut entwickelt: Wir erwarten 18 000 Besucher. Viele Menschen nehmen sich frei und kommen extra nach München. Die damit verbundenen Einnahmen sind ein schöner Nebeneffekt, weil die Saalmieten für die Musikhochschule, den Herkulessaal und das Prinzregententheater gestiegen sind. Und es gibt Publikumspreise.
FORSTER: Viele Teilnehmer sagen, dass die Anwesenheit des begeisterungsfähigen Publikums die Situation entspannt, vor einer Jury spielen zu müssen.
Wie schaut es mit der Zukunft des Wettbewerbs aus?
BEAUJEAN: Der Wettbewerb ist bis 2020 durch einen Beschluss der ARD-Intendanten gesichert. Spätestens im übernächsten Jahr muss das neu verhandelt werden, weil wir immer auf drei Jahre im Voraus planen müssen.
Was wurde aus den Preisträgern der vergangenen Wettbewerbe?
FORSTER: Ein Wettbewerb kann freilich nur ein Anstoß sein. Viele Preisträger machen aber tatsächlich Karriere. Das Armida-Quartett beispielsweise, ebenso der Pianist Alexander Gorlatch. Der Harfenist Emmanuel Ceysson gewann 2009 den ersten Preis. Er ist viel solistisch unterwegs und spielt im Orchester der New Yorker Metropolitan Opera.
BEAUJEAN: Viele Preisträger übernehmen Solo-Positionen in großen Orchestern. Diese Nachwuchsförderung war das ursprüngliche Ziel des Wettbewerbs bei der Gründung. Aber es gibt auch Solo-Karrieren, wo man es eher weniger erwartet, wie bei den Schlagzeugern Simone Rubino und Alexej Gerassimez.
Sind ein Wettbewerb und Musik nicht Gegensätze?
FORSTER: Es ist nicht für jede Musikerpersönlichkeit der Weg zum Erfolg. Für viele Teilnehmer ist es ein Anreiz, ein bestimmtes Repertoire für einen bestimmten Anlass vorzubereiten und Höchstleistung im Angesicht der Konkurrenz zu erbringen.
Was passiert, wenn jemand in der zweiten Runde rausfliegt?
FORSTER: Dafür gibt es sehr berühmte Beispiele, Christian Gerhaher zum Beispiel. Es gibt die Möglichkeit, ein Beratungsgespräch mit der Jury zu führen. Wer offen ist, profitiert davon. Aber es gibt auch immer wieder Teilnehmer, die einfach abreisen.
BEAUJEAN: Es gab auch mal eine Bratschistin, die einen dritten Preis gewonnen hat, beim nächsten Mal noch einmal teilgenommen hat und prompt in der ersten Runde ausgeschieden ist. Das Risiko geht man eben ein.
Voriges Jahr schied Axel Linstädt als künstlerischer Leiter aus, weil er in den Rundfunkrat wechselte. Warum hat der designierte Künstlerische Leiter Martin Ullrich sein Amt nicht angetreten?
BEAUJEAN: Im Zuge der Vertragsverhandlungen sind offenbar unerwartet unterschiedliche Auffassungen zur vertraglichen Ausgestaltung und strukturelle Unvereinbarkeiten zutage getreten. Deshalb haben sich beide Seiten einvernehmlich darauf verständigt, von der Besetzung Abstand zu nehmen.