Osterfestspiele in Salzburg: Rausch der Harmonie
Vor lauter Begeisterung - und das heißt in Salzburg etwas, wo die Musik letztlich ein Sahnehäubchen zum sozialen Drumherum ist - wollte das Publikum nach dem ersten Akt der "Walküre" kaum in die Pause. Am Ende, nach dem Schluss der "Götterdämmerung" spontaner stehender Beifall. Die Sopranistin Anja Kampe, Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden versicherten sich gegenseitig maximale Wertschätzung und Großartigkeit. Nachdem alle Orchestergruppen und Solisten einzeln mehrfach aufgestanden waren, riskierte der Dirigent noch seinen obligatorischen Sprung auf die Bühne.
Im Rausch des Augenblicks herrscht Harmonie. War Anja Kampe 2015 nicht kurzfristig unter mysteriösen Umständen aus Thielemanns Bayreuther "Tristan" ausgestiegen? Läuft nicht in zwei Jahren der Vertrag des Dirigenten als Musikchef der Staatskapelle aus, obwohl beide Seiten lange unzertrennlich schienen? Bei den Osterfestspielen endet nach dem "Lohengrin" und den rahmenden Konzerten im April 2022 die Ära Thielemann. Auch das eigens für ihn geschaffene Amt des Musikchefs der Bayreuther Festspiele wurde in aller Stille kassiert.
Man wünscht sich, es möge nie enden
Wahn, überall Wahn, sagt sich der Wagner-Kenner. Bei diesem Konzert der nachgeholten Osterfestspiele denkt Thielemann vom Theater her. Er drängt das Orchester unablässig und zugleich sanft vorwärts. Der erste Aufzug der "Walküre", oft als "Stop and Go" zwischen schönen Stellen des Innehaltens und der hitzigen Dramatik dirigiert, steigert sich hier so unendlich, dass man wünscht, es möge nie enden. Und das Orchesternachspiel setzt die finale Explosion darauf.
Die Staatskapelle hüllt, vor allem in der ersten Hälfte, die Solisten in einen wunderbar seidigen Streicherklang. René Pape legte eine kalte, untergründige Wut in seine wenigen Sätze als Hunding. Anja Kampe gelang es, die Sieglinde auch ohne Bühne mit gesanglicher Nuancierung zu einer psychologisch glaubhaften Figur zu machen, etwa wenn sie nach beim Nachdenken über Siegmunds Stimme und die damit verbundene Kindheitserinnerung eine Zäsur setzt. Nur an solche Stellen fällt dann ein wenig auf, dass Stephen Gould bei aller Kraft ein wenig steifleinern singt.

Bei Siegfrieds Rheinfahrt und den triumphalen Stellen im Trauermarsch wurde eine gewisse Grenze der Staatskapelle erkennbar: Wenn die Musik strahlen und glitzern soll, bleibt der goldene Klang ein wenig stumpf. Symptomatisch dafür ist der viel zu diskrete Musiker am Becken. Der Schluss der "Götterdämmerung" übersteigerte mit der italienisch geschulten Klangkultur der Sopranistin, ihren trompetenhaften Spitzentönen und dem mächtig auftrumpfenden Orchester einschließlich Erlösungsseligkeit dann alles, und zwar mit einem Überschuss einschließlich der letzten fünf Prozent, die bei Thielemanns Konzerten hin und wieder fehlen.
Nur, warum geht das dann alles zu Ende? Am verständlichsten ist der Wechsel noch bei den Osterfestspielen, die nach dem Willen des jetzigen Geschäftsführers und künftigen Intendanten Nikolaus Bachler von wechselnden Orchestern bestritten werden: Dieses auf Herbert von Karajan zurückgehende Festival kann eine Modernisierung vertragen. In Dresden hat viel politisches Gerede über Modernisierung und Verjüngung dafür gesorgt, dass unter Konservativen das Gerücht die Runde macht, der Dirigent werde dem liberalen Zeitgeist geopfert.
Thielemann mit Wagner-Kompetenz
Das ist, mit Verlaub, Unsinn. Thielemanns Kompetenz bei Wagner und noch einer Handvoll weiterer Komponisten ist auch unter den größten Skeptikern unbestritten. Die sitzen allerdings nicht im Publikum oder in Zeitungsredaktionen, sondern mit einem Musikinstrument auf dem Podium. Viele Musiker, die mit Thielemann gearbeitet haben, machen einen feinen Unterschied: als Dirigent ja, als Chefdirigent nein.
Um das zu verstehen, muss man gar nicht über Thielemanns ein wenig altmodisches Berufsethos und sein Desinteresse an Jugend- und Vermittlungsarbeit sprechen. Das gibt es auch bei anderen Chefdirigenten. Schwieriger ist die oft kolportierte Konfliktfreude und Unlust an allem Organisatorischen, die noch jede Chef-Verpflichtung Thielemanns unerfreulich haben enden lassen. Im Prinzip reicht es, sich über die Präsenz des Dirigenten in Dresden jenseits seiner prestigeträchtigen Festival-Verpflichtungen anzusehen. Dann versteht man, dass die Ministerin lediglich auf die Staatskapelle gehört hat, als sie den Vertrag auslaufen ließ.
Ob er als Gast zurückkehrt? Die Münchner Philharmoniker warten bis heute drauf. Apropos warten: Der Rezensent hätte sich, nach der Kaffeehaus-Lektüre österreichischer Zeitungsberichte über steigende Corona-Zahlen und eine schlechte Impfquote nach dem Konzert am liebsten in einen Winterschlaf versetzen lassen, um erst zum "Lohengrin" an Ostern wieder aufzuwachen.
Abos für die Osterfestspiele 2022 (9. bis 18. April) unter osterfestspiele-salzburg.at. Einzelkarten ab 1. Dezember