Neuer Chefdirigent gesucht: Münchner Philharmoniker am Wendepunkt?
Er müsse sich auf neue Konzertformate verstehen, die Kulturvermittlung ins Zentrum rücken und Programm-Schwerpunkte in Form von kleinen Festivals unterstützen: So beschreibt der städtische Kulturreferent Anton Biebl das Profil des künftigen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, der laut Geschäftsordnung vom Orchester gewählt und anschließend vom Stadtrat berufen wird.
Krzystof Urbanski: Geeigneter Kandidat für Posten als Chefdirigent
Ist es ein reiner Zufall, dass das nahezu maßgeschneidert auf Krzysztof Urbanski passt, der am letzten Juni-Wochenende zur "Space Odyssee" in die Isarphilharmonie bittet und das Publikum laut einer Ankündigung "bis an die Grenzen des Weltalls" führt? Urbanski hat zwischen Beethovens Nr. 9 und der "Star Wars"-Suite von John Williams schon viele und keineswegs schlechte Konzerte des Orchesters der Stadt dirigiert. Doch es gibt noch einen weiteren Punkt, der - abgesehen von der Verfügbarkeit - über die künftige Chefposition entscheidet: der asiatische Marktwert. Die Philharmoniker wollen auch in der Post-Gergiev-Ära im internationalen Geschäft mitspielen. Und das geht, wie der Intendant Paul Müller betont, nur mit den großen Namen.
Aber betreibt die Stadt ihr Orchester, um Japan und China zu bespaßen? Es stimmt zwar, dass Reisen den Zusammenhalt und die Spielkultur des Orchesters fördern, was den Konzerten zu Hause zugutekommt. Aber nicht immer. Der verstorbene Mariss Jansons beim BR-Symphonieorchester und Valery Gergiev bei den Philharmonikern verstanden ihre Heimspiele oft nur als Generalproben für Renommier-Gastspiele. Und leider sind Tournee-Programme mit ihren ewigen Standardwerken oft auch recht langweilig.
Münchner Philharmoniker sind selbstbewusster geworden
Allerlei Unkenrufen zum Trotz sind die Philharmoniker für die Wahl eines neuen Chefs gut aufgestellt. Das Orchester ist selbstbewusster geworden. Es interessiert sich zunehmend für Musik und Konzertformen jenseits von Beethoven, Brahms und Bruckner.
Im Unterschied zur örtlichen Konkurrenz sind alle interessanten Dirigentinnen vor dem Orchester gestanden und auch wieder eingeladen worden. Oksana Lyniv eröffnet die neue Saison mit Ausschnitten aus Wagners "Parsifal", Natalie Stutzmann debütiert mit Tschaikowskys Fünfter, Mirga Gražinyte-Tyla begleitet Igor Levit beim Schumanns Klavierkonzert, Susanna Mälkki interpretiert Strauss und Sibelius. Auch Barbara Hannigan wird wieder dirigieren.
Die Entscheidung für eine Chefdirigentin wäre eine Zäsur. Allerdings eine, von der das Orchester profitieren könnte. Gut vertreten sind in der kommenden Saison Herren der jüngeren und mittleren Generation wie Lorenzo Viotti, Omer Meir Wellber, Santtu-Matias Rouvali und Gustavo Gimeno. Alain Altinoglu dirigiert Orffs "Carmina burana", Tugan Sokhiev das "Lied von der Erde". Robin Ticciati debütiert mit Mahlers Dritter, Thomas Guggeis mit einem Strauss-Programm.
Orchester hat den Ruf, recht schwierig zu sein
Paavo Järvi, Zubin Mehta, Kent Nagano und auch Urbanski stehen in der kommenden Saison für Kontinuität. Zuletzt gab es eine vielversprechende Zusammenarbeit mit Andris Nelsons. Der ist allerdings als Chef in Boston und beim Gewandhaus nicht frei. Die Klarinettistin Alexandra Gruber sprach begeistert von den Konzerten unter Daniele Gatti in München und Hamburg mit Bruckners Neunter und Schostakowitschs Fünfter. An dem Italiener klebt allerdings der unerfreuliche Abschied aus Amsterdam. Das berührt bei den Philharmonikern einen wunden Punkt: James Levine, Christian Thielemann und Valery Gergiev gingen - aus unterschiedlichen Gründen - nicht konfliktfrei, was dem Orchester den Ruf eingebracht hat, recht schwierig zu sein.
Die unbeugsamsten Celi-Traditionalisten sind pensioniert. Die Philharmoniker sind jünger, internationaler und weiblicher. Das könnte die traditionelle Fixierung des Orchesters bei der Chefdirigentenwahl auf machtvolle Vaterfiguren aufheben.
Anton Biebl deutete an, dass er dem Stadtrat noch in diesem Jahr einen Chefdirigenten vorschlagen wolle. Diese Formulierung könnte darauf hindeuten, dass die Entscheidung bereits gefallen ist. Beim Spekulieren sollte man die Begeisterung wichtiger Orchestermitglieder über eine Aufführung von Mahlers Zweiter unter Gustav Dudamel in München und Barcelona nicht vergessen. Auch er wäre ein Dirigent, der nicht nur Biebls Stellenbeschreibung entspräche, sondern auch auf dem ominösen asiatischen Markt ankommen würde, von dem allerdings niemand weiß, ob er nach der Pandemie noch so wichtig ist wie davor.
Infos zur kommenden Saison der Philharmoniker und den Abos unter www.mphil.de