München und das Weltniveau am Gasteig

Aus für den Konzertsaal am Finanzgarten: Horst Seehofer und Dieter Reiter einigen sich auf eine Sanierung von Gasteig und Herkulessaal
Robert Braunmüller |
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Für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und seinen Chefdirigenten ist es eine schwere Niederlage. Seit über zehn Jahren kämpfen Mariss Jansons und die Musiker für den Neubau eines Konzertsaals in München. Gestern haben sich Ministerpräsident Horst Seehofer und OB Dieter Reiter darauf geeinigt, den Gasteig und den Herkulessaal gemeinsam zu sanieren. Der zuletzt im Dezember vom Verein Konzertsaal München ins Gespräch gebrachte Neubau eines eigenständigen, dritten Konzertsaals am Finanzgarten ist vom Tisch.

Seehofer hat den Neubau 2012 in einer schwachen Stunde versprochen. Er wirkte recht angefressen über die Fans eines Neubaus, die 40 verschiedene Standorte ins Gespräch gebracht hätten, von denen keiner realistisch gewesen sei. Seehofer fürchtet am Standort Finanzgarten offenbar Proteste von Naturschützern. Er hat sich den Park selbst angesehen und ist zu der Überzeugung gelangt: Hier geht es nicht.

Der Ministerpräsident fühlt sich von den Konzertsaalfans im Stich gelassen. Das ist nachvollziehbar. Bis zuletzt konnte der Verein Fragen nach der Finanzierung und einem Betreiberkonzept nie schlüssig beantworten. Von Sponsoren wurde viel geredet, aber öffentlich bekannt hat sich keiner. Der Bayerische Rundfunk unterstützte das Projekt ein Jahrzehnt lang gar nicht und zuletzt in Gestalt seines Intendanten Ulrich Wilhelm auch nur halbherzig. Dem Symphonieorchester ist es nicht einmal gelungen, die anderen Klangkörper des Senders von der Notwendigkeit eines Neubaus zu überzeugen.

Seehofer will das Machbare, keine Vision

Und es war immer sicher, dass fränkische oder schwäbische Abgeordnete im Landtag kaum für einen Neubau in München stimmen würden. Seehofer ist ein Realist der Macht, der das Machbare will: eine Sanierung des Gasteigs und eine gleichzeitige Verbesserung im Herkulessaal. Die städtische Philharmonie soll demnach nicht – wie spekuliert – abgerissen, sondern unter Beteiligung der Staatskasse entkernt werden, um dort einen besseren Saal einzubauen.

„Ich will einen Konzertsaal mit Weltniveau“, sagte Seehofer. Parallel zu diesem Vorhaben werde der Freistaat den ihm gehörenden Herkulessaal in der Residenz baulich „ertüchtigen“.

Seehofer und Reiter glauben, was von diversen Gutachtern bestritten wurde: dass die Philharmoniker und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bei vernünftiger Planung und verbesserten Nebenräumen im Gasteig auskommen könnten. „Jetzt geht es doch auch“, ließ Reiter alle Gegenargumente abtropfen. Nikolaus Pont, der Manager des BR-Symphonieorchesters, erklärt, dass mit ihm darüber nie gesprochen wurde.

Seehofer will schnell zu einem Beschluss des Kabinetts gelangen. „Wir nehmen viel Geld in die Hand bei 100 Prozent Realisierungschancen.“ Konkrete Zahlen nannte der Ministerpräsident nicht. Einen angeblich vorgesehenen Beitrag des Freistaates in Höhe von 200 Millionen für das Projekt dementierte er.

Beginnen soll die Sanierung um etwa 2020 herum. Sie soll drei Jahre dauern. Wo die Münchner Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und die zahlreichen Gastorchester während des Umbaus auftreten sollen, darüber sagten Seehofer und Reiter nichts. Da regiert allein das Prinzip Hoffnung. Ab sofort wird nach Standorten für eine Interimslösung gesucht.

Wurschtige Provinzialität

Steht nun der Ruf der Musikstadt München auf dem Spiel? Vielleicht. Es kommt darauf an, was die Stadt, der Staat und die Orchester aus der Situation machen. Leider strapazierten Reiter und Seehofer das eigentlich bereits von Erich Honecker verschlissene Wort „Weltniveau“ in einer Weise, dass einem Angst und Bange vor soviel bräsiger Provinzialität werden kann.

Beide Herren sind erstaunlicherweise der Ansicht, dass die Zahl der Konzertgänger stagniere, was von Orchestermanagern und privaten Veranstaltern mit guten Gründen und soliden Zahlen bestritten wird. Wer hat Reiter und Seehofer diesen Unsinn eingeblasen? Und es ist hoffentlich nicht Seehofers Ernst, dass im Herkulessaal vor allem die Situation der Toiletten verbesserungswürdig sei.

Vergammelter Herkulessaal

Wenn der Staat vor dem offenbar allmächtigen Denkmalschutz einknickt und es bei Kosmetik im häßlich-neoklassizistischen Herkulessaal aus dem Jahr 1953 belässt, droht ein Fiasko. Auch in dem staatlichen Saal müsste neben der gesamten Infrastruktur die viel zu harte Akustik verbessert werden. Nebenräume für Einführungsveranstaltungen fehlen völlig, die Künstlergarderoben sind eine Zumutung. Ein moderner Orchesterbetrieb mit Jugendarbeit und einem Rahmenprogramm ist dort kaum möglich, die Gastronomie zum Weinen.

So wie sich der Saal jetzt darbietet, fehlt Konzerten dort jeder Erlebniswert. Es geht auch nicht an, dass die Besucher im Winter über Glatteis zum Herkulessaal schlittern und von einem Eingangsbereich mit dem Charme einer Trauerhalle empfangen werden.

Immerhin: Die Entscheidung ist, endlich, gefallen. Nun heißt es, nach vorn zu schauen. Es hat viel für sich, in den Bestand zu investieren, anstatt Neues zu bauen. Aber wer auch immer Seehofer und Reiter in den letzten Tagen beraten hat: Eine Idee, wie sich die Klassische Musik weiterentwickeln könnte, haben Seehofer und Reiter nicht. Mit jüngeren Orchestermusikern scheinen sie auch nicht gesprochen zu haben. Jeder ihrer Sätze triefte von einer Wurstigkeit und einem Desinteresse an kulturellen Themen, die einem Angst machen kann.

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